Schlafender Tiger. Großdruck.
schuldig zu sein. „Wir müssen Señor Dyer finden, weil ich sonst mein Geld nicht bekomme. Die Señorita hat nämlich keins...“
Selina schluckte. „Ja... Ja, leider stimmt das. Könnten Sie uns erklären, wie wir zur Casa Barco kommen?“
„Das ist zu kompliziert. Sie würden sie niemals finden. „Aber“, fügte er hinzu, „ich kann jemanden suchen, der Sie hinbringt.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen. Haben Sie vielen Dank, Mr... Leider kenne ich Ihren Namen nicht.“
„Rodolfo. Nicht Mr. irgendwas, einfach Rodolfo. Wenn Sie einen Moment warten, will ich sehen, was ich tun kann.“
Er trat durch den Perlenvorhang nach draußen, überquerte den Platz und ging in das Geschäft gegenüber. Toni sackte auf seinem Barhocker zusammen, wobei seine Körperfülle zu beiden Seiten des viel zu kleinen Hockers hinabquoll, und seine Stimmung verdüsterte sich zusehends. Selina wurde langsam nervös. Verlegen murmelte sie: „Es ist ärgerlich, daß wir aufgehalten werden, wo Sie doch so freundlich waren ...“
„Wir wissen nicht, ob Señor Dyer überhaupt in der Casa Barco sein wird. Sie haben ihn nicht von San Antonio zurückkommen sehen.“
„Nun, falls er noch nicht zurück ist, können wir ja etwas warten...“
Es war das Falscheste, was sie hatte sagen können. „Ich kann nicht warten. Ich muß arbeiten, um zu leben. Zeit ist Geld für mich.“
„Ja, natürlich. Das verstehe ich.“
Er machte ein Geräusch, als wollte er sagen, daß sie ihn unmöglich verstehen konnte, und wandte ihr halb den Rücken zu wie ein großer, schmollender Schuljunge. Selina war richtig erleichtert, als Rodolfo endlich zurückkehrte. Er erklärte ihnen, daß der Sohn der Frau, der der Lebensmittelladen gehörte, sie zur Casa Barco bringen würde. Der Junge hatte eine große Bestellung für Señor Dyer, die er sowieso gerade mit dem Fahrrad abliefern wollte. Wenn sie wollten, konnten sie mit dem Taxi hinter dem Fahrrad herfahren.
„Ja, das ist eine hervorragende Idee.“ Selina wandte sich Toni zu und sagte mit einer Fröhlichkeit, die ganz und gar nicht echt war: „Mein Vater wird Ihnen den Fahrpreis bezahlen, und dann können Sie direkt nach San Antonio zurückfahren.“
Toni sah nicht besonders überzeugt aus, doch er hievte sich von dem Barhocker und folgte Selina auf den Platz hinaus. Neben dem Taxi wartete ein magerer Junge mit seinem Fahrrad. Am Lenker hingen zwei riesige Körbe, wie sie von allen spanischen Landbewohnern benutzt werden. Schlecht verpackte Lebensmittel aller Formen und Größen ragten aus den Körben: Brotlaibe, eine Tüte mit Zwiebeln, ein Flaschenhals.
„Das ist Tomeu“, sagte Rodolfo, „der Sohn von Maria. Er wird Ihnen den Weg zeigen.“
Stolz fuhr Tomeu vor ihnen her, die staubbedeckte Straße entlang, die den Windungen und Kurven der Küste folgte. Kleine Buchten mit pfauenblauem Wasser durchschnitten das Land, und über den Felsen konnte man wunderschöne weiße Villen mit kleinen Gärten voller Blumen, Sonnenterrassen und Sprungbretter sehen.
„Ich hätte nichts dagegen, hier zu wohnen“, sagte Selina, aber Tonis Laune verschlechterte sich rapide, und er erwiderte darauf nichts. Die Straße war keine Straße mehr, sondern eher ein Feldweg, der sich zwischen blumenbewachsenen Mauern hindurchschlängelte. Es kam ein kleiner Hügel, bevor es zu einer großen Bucht hinabging, in der ein winziger Hafen ein paar Fischerbooten Schutz bot, während draußen im tiefen Wasser große Segelyachten vor Anker lagen.
Der Weg führte an der Rückseite einiger Häuser entlang. Tomeu wartete auf sie. Als er das Taxi über den Hügelkamm kommen sah, stieg er von seinem Fahrrad, lehnte es gegen eine Mauer und begann die Körbe
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