Schlafender Tiger. Großdruck.
einem der großen Korbstühle Siesta hielt, schreckte hoch, als sie hereinkam, und stand überrascht auf.
„Hallo, Amigo“, begrüßte ihn Frances.
Er rieb sich die Augen. „Francesca! Was machst du hier?“
„Bin gerade aus San Antonio gekommen. Gibst du mir etwas zu trinken?“
Er ging hinter die Bar. „Was möchtest du?“
„Hast du kaltes Bier da?“ Sie setzte sich auf einen Barhocker, holte sich eine Zigarette heraus und zündete sie mit den Streichhölzern an, die Rodolfo ihr hinschob. Er öffnete eine Flasche Bier und goß es vorsichtig in ein Glas. „Das ist nicht die beste Zeit des Tages, um in einem offenen Wagen herumzufahren“, bemerkte er.
„Stört mich nicht.“
„Es ist für diese frühe Jahreszeit sehr heiß.“
„Dies ist der heißeste Tag bisher. San Antonio ist wie eine Sardinenbüchse, es ist eine Erleichterung, aufs Land zu kommen.“
„Bist du deshalb hier?“
„Nein, nicht nur. Ich wollte George besuchen.“
Rodolfo reagierte auf seine typische Art, indem er mit den Schultern zuckte und die Mundwinkel herunterzog. Frances runzelte die Stirn. „Ist er etwa nicht da?“
„Aber natürlich ist er da.“ Rodolfos Miene zeigte eine Spur von Schadenfreude. „Wußtest du, daß er Besuch in der Casa Barco hat?“
„Besuch?“
„Seine Tochter.“
„Tochter?“ Nach einer Schrecksekunde lachte Frances.
„Bist du verrückt?“
„Ich bin nicht verrückt. Seine Tochter ist hier.“ „Aber... George war niemals verheiratet.“
Rodolfo zuckte die Achseln. „Davon weiß ich nichts.“
„Wie alt ist sie, verdammt noch mal?“ Wieder zuckte er mit den Schultern. „Siebzehn?“
„Aber das ist unmöglich...“
Rodolfo wurde langsam ärgerlich. „Francesca, ich schwöre dir, sie ist hier.“
„Ich habe George gestern noch in San Antonio getroffen. Warum hat er mir nichts davon gesagt?“
„Hat er keinerlei Andeutung gemacht?“
„Nein. Nein, das hat er nicht.“
Aber das stimmte nicht ganz, denn sein Verhalten am Tag zuvor war durchaus ungewöhnlich gewesen und damit, in Frances' Augen, irgendwie verdächtig. Diese plötzliche Eile, ein Telegramm abzuschicken, wo er doch erst am Tag zuvor in San Antonio gewesen war, sein Einkauf bei Teresa, dem Geschäft mit der schönsten Damenwäsche in der ganzen Stadt, und seine letzte Bemerkung, er hätte mehr zu füttern als nur die Katze, als er nach Cala Fuerte zurückfuhr. Den ganzen Abend und fast die ganze Nacht hatte sie über diese Auffälligkeiten nachgegrübelt, überzeugt, daß sie etwas bedeuteten, was sie unbedingt wissen mußte.
Schließlich konnte sie die Unwissenheit nicht länger ertragen und hatte am Morgen beschlossen, nach Cala Fuerte zu fahren, um herauszufinden, was los war. Selbst wenn es nichts herauszufinden gab, würde sie wenigstens George sehen. Außerdem begannen die verstopften Straßen und Fußwege von San Antonio tatsächlich, ihr auf die Nerven zu gehen; sie fand den Gedanken an die einsamen blauen Buchten und den frischen Pinienduft von Cala Fuerta äußerst verlockend.
Und jetzt das. Es war seine Tochter. George hatte eine Tochter. Sie drückte ihre Zigarette aus und sah, daß ihre Hand zitterte. So ruhig und lässig wie möglich sagte sie: „Wie heißt sie?“
„Die Señorita? Selina.“
„Selina.“ Sie sprach den Namen aus, als würde er einen schlechten Geschmack in ihrem Mund hinterlassen.
„Sie ist ganz reizend.“
Frances trank ihr Bier aus und stellte das Glas ab. „Ich denke, ich fahre lieber hin und finde das selbst heraus.“
„Tu das.“
Sie glitt vom Barhocker, nahm ihre Handtasche und ging zur Tür. Am Perlenvorhang drehte sie sich noch einmal um, und Rodolfo beobachtete sie mit einem amüsierten Blinzeln in seinen
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