Schlafender Tiger. Großdruck.
werden deine Freunde in Cala Fuerte sagen, wenn sie erfahren, daß sie gar nicht deine Tochter ist?“
„Ich werde es ihnen eben erklären.“
„Und wann?“
„Wenn wir etwas Geld aus London bekommen haben. Wir schulden Rodolfo bereits sechshundert Peseten, und wir müssen ein zweites Rückflugticket kaufen, und mein Geld wird in Barcelona zurückgehalten...“
„Du meinst, es ist nur eine Geldfrage?“ George starrte sie an. „Das ist der einzige Grund, weshalb sie noch hier ist? Der einzige Grund, weshalb du sie nicht sofort wieder nach Hause geschickt hast?“
„Das reicht doch wohl als Grund, oder?“
„Aber, verdammt noch mal, wieso bist du dann nicht zu mir gekommen?“
George wollte ihr schon sagen, wieso, doch dann schwieg er. Frances konnte es einfach nicht glauben. „Will sie hierbleiben? Willst du, daß sie hierbleibt?“
„Nein, natürlich nicht. Sie kann es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen, und ich kann es kaum erwarten, sie loszuwerden. Aber bis es soweit ist, ist die Situation ganz harmlos.“
„Harmlos? Das ist das Naivste, was ich je von dir gehört habe. Diese Situation ist ungefähr so harmlos wie eine Tonne Dynamit.“
Er erwiderte darauf nichts, sondern saß mit hochgezogenen Schultern da, die Hände so fest um den Tischrand geklammert, daß die Knöchel weiß hervortraten. Als Frances verständnisvoll ihre Hand auf seine legte, versuchte er nicht, sie wegzuziehen.
„Jetzt hast du dich mir ja anvertraut, also laß mich dir helfen“, sagte sie. „Um sieben Uhr heute abend fliegt eine Maschine von San Antonio nach Barcelona. Es gibt einen Anschlußflug nach London, und um Mitternacht wird sie wieder zu Hause sein. Ich gebe ihr das Geld für den Flug und für ein Taxi bis zu ihrer Haustür.“ Er sagte immer noch nichts, und so fügte sie sanft hinzu: „Liebling, da gibt es nichts zu überlegen. Ich habe recht, und du weißt es. Sie kann nicht länger hierbleiben.“
Selina saß mit dem Rücken zum Haus am Ende des Anlegers und ließ die Füße ins Wasser baumeln. George kam die Stufen von der Terrasse herunter, überquerte die Slipanlage und ging über die krummen Planken, wobei seine Schritte widerhallten, doch sie drehte sich nicht um. Als er ihren Namen sagte, antwortete sie nicht. Er hockte sich neben sie.
„Hören Sie. Ich möchte mit Ihnen reden.“
Sie beugte sich über das Wasser, von ihm weg, ihr Haar teilte sich im Nacken und fiel an den Seiten ihres Gesichtes herab.
„Selina, bitte versuchen Sie, mich zu verstehen.“
„Sie haben noch nichts gesagt.“
„Sie können nach London zurückfliegen, heute noch. Um sieben Uhr geht ein Flugzeug, dann sind Sie um Mitternacht zu Hause oder spätestens um eins. Frances sagt, sie zahlt Ihr Ticket ...“
„Wollen Sie, daß ich abreise?“
„Es geht nicht darum, was ich will oder was Sie wollen. Wir müssen tun, was richtig und das Beste für Sie ist. Vermutlich hätte ich Sie überhaupt nicht erst hier behalten sollen, aber die Umstände haben uns irgendwie überrumpelt. Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Cala Fuerte ist nicht gerade der richtige Ort für jemanden wie Sie, und die arme Agnes macht sich bestimmt schon Sorgen. Ich denke wirklich, Sie sollten nach Hause fliegen.“
Selina zog ihre langen Beine aus dem Wasser und umschlang die Knie, als versuche sie, ihren Körper zusammenzuhalten, um nicht auseinanderzubrechen.
„Ich schicke Sie nicht fort“, sagte er, „es muß Ihre eigene Entscheidung sein...“
„Das ist sehr nett von Ihrer Freundin.“
„Sie will Ihnen nur helfen.“
„Wenn ich heute abend noch nach London zurückfliege, habe ich nicht mehr viel Zeit.“
„Ich werde Sie nach San Antonio bringen.“
„Nein!“ Ihre Heftigkeit erschreckte ihn, und zum erstenmal während ihres Gesprächs drehte sie
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