Schlafender Tiger. Großdruck.
sang das Lied, das ihn den ganzen Abend gequält hatte, und immer noch fiel ihm der Text dazu nicht ein. Und auf einmal, als hätte jemand ein Radio ausgeschaltet, hörte sie auf zu singen. Die plötzliche Stille wirkte auf George genauso, als hätte Frances geschrien. Er hielt mitten in seiner Bewegung inne und spitzte die Ohren wie ein mißtrauischer Hund.
Gleich darauf kam Frances mit einem Gesichtsausdruck die Stufen wieder herunter, den er absolut nicht deuten konnte. „Was ist los?“ fragte er naiv. „Kein Kamm da?“
„Ich weiß nicht“, sagte Frances. „Ich habe nicht nachgesehen. Ich bin nur bis zum Bett gekommen...“
„Zum Bett?“ Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
„Das ist doch nicht schon wieder einer deiner Scherze? Ein weiteres Beispiel deines unvergleichlichen britischen Humors?“
Erschrocken bemerkte er, daß sie wirklich wütend war. In ihrer sorgsam kontrollierten Stimme lag das Zittern einer nahenden Explosion.
„Frances, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“
„Das Mädchen. Deine Tochter. Selina. Wie immer du sie nennen willst. Weißt du, wo sie ist? Nicht in London. Nicht einmal auf dem Flughafen von San Antonio. Sie ist dort oben...“ Sie zeigte in Richtung Schlafzimmer, wobei ihre Hand zitterte, und verlor plötzlich die Beherrschung, als risse ein überdehntes Gummiband. „In deinem Bett!“
„Das glaube ich nicht.“
„Nun, dann sieh doch nach. Geh nach oben und sieh nach!“ Er rührte sich nicht von der Stelle. „Ich weiß nicht, was hier vorgeht, George, aber ich habe nicht eine beträchtliche Summe dafür ausgegeben, um dieses kleine Flittchen in deinem Bett vorzufinden...“
„Sie ist kein Flittchen.“
„...und wenn du versuchen solltest, mir irgendeine Erklärung dafür zu geben, dann laß dir etwas Gutes einfallen, denn ein zweites Mal falle ich auf dieses Geschwätz über verlorenes Gepäck und den vermißten Papi nicht herein...“
„Es war die Wahrheit.“
„Wahrheit? Hör mal, du Bastard, wen, glaubst du eigentlich, hältst du hier zum Narren?“ Sie schrie jetzt, und er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn anschrie.
„Ich wußte nicht, daß sie zurückkommen würde...“
„Nun, dann wirf sie sofort hinaus!“
„Das werde ich nicht tun.“
„In Ordnung.“ Frances griff nach ihrer Handtasche.
„Wenn es dir gefällt, dich mit diesem heuchlerischen kleinen Flittchen häuslich niederzulassen, bitteschön ...“
„Schrei nicht herum!“
„...aber erwarte nicht von mir, daß ich dabei auch noch Zurückhaltung übe, um euren Ruf nicht zu ruinieren.“ Sie ging zur Tür und riß sie weit auf. Dann drehte sie sich um, um ihm eine letzte Beleidigung an den Kopf zu werfen, doch leider störte Pearls würdevolles Eintreten die Wirkung ihres Abgangs. Die Katze hatte draußen gewartet, daß jemand sie hereinließ, und miaute dankbar.
„Du gehst jetzt lieber“, sagte George, so ruhig er konnte.
„Keine Angst, ich bin schon weg!“ Frances gab Pearl einen wütenden Tritt und stürmte hinaus, wobei sie die Tür mit einer solchen Wucht hinter sich zuschlug, daß das ganze Haus erbebte.
Kurz darauf wurde die nächtliche Stille vom Dröhnen des Citroens zerrissen, der mit quietschenden Reifen anfuhr und in einem derartigen Tempo den Hügel hinaufjagte, daß George unwillkürlich die Zähne zusammenbiß.
Er bückte sich und nahm Pearl auf den Arm. Sie war tief gekränkt, aber unverletzt, und George setzte sie sanft auf ihr Lieblingskissen auf dem Sofa. Als er über sich eine Bewegung wahrnahm, blickte er hoch und sah Selina, die an der Brüstung der Galerie stand und ihn beobachtete. Sie trug ein weißes Nachthemd mit blauer Borte am Kragen. „Ist mit Pearl alles in Ordnung?“ fragte sie ängstlich.
„Ja, ihr fehlt nichts. Was tun Sie
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