Schlafender Tiger. Großdruck.
werden? Aber sobald er sich angezogen hatte, ging er nach unten, holte seinen alten Plattenspieler hervor, rieb den Staub von der Frank Sinatra-Platte und legte sie auf.
Juanita hatte inzwischen die Terrasse gewischt. Als sie die Musik hörte, legte sie den Schrubber hin und kam ins Zimmer, wobei ihre nassen Füße Spuren auf den Fußboden
kacheln hinterließen.
„Señor“, sagte sie.
„Juanita! Buenos dias.“
„Hat der Señor gut geschlafen?“
„Vielleicht sogar zu gut.“
I've grown accustomed to the tune
She whistles night and noon.
„Wo ist die Señorita ?“
„Sie ist zum Schiff von Señor hinausgefahren, um zu baden.“
„Wie ist sie dahin gekommen?“
„Mit dem kleinen Boot.“
Er hob überrascht die Augenbrauen. „Nun, schön für sie. Juanita, ist noch Kaffee da?“
„Ich werde welchen machen.“
Sie ging zum Brunnen, um frisches Wasser zu holen.George fühlte sich so wohl, daß er sogar Lust auf eine Zigarette hatte. Er fand eine und zündete sie an. „Juanita?“ fragte er vorsichtig.
„Si, Señor?“
„Gestern hat eine Amerikanerin im Cala Fuerte-Hotel übernachtet...“
„Nein, Señor .“
Er runzelte die Stirn. „Was wollen Sie damit sagen?“
Juanita setzte den Kessel auf. „Sie ist nicht geblieben, Señor . Sie ist gestern nacht nach San Antonio zurückgefahren. Sie hat das Hotelzimmer nicht benutzt. Rosita hat es Tomeu erzählt, und Tomeu hat es Maria erzählt, und...“
„Ich weiß, Maria hat es Ihnen erzählt.“ Ihm fiel ein Stein vom Herzen, wofür er sich sofort schämte. Bei dem Gedanken daran, wie Frances in dieser Todesmaschine von einem Auto durch die Nacht raste, lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Er betete heimlich, daß ihr nichts passiert war, daß sie keinen Unfall gehabt hatte und jetzt womöglich in irgendeinem Straßengraben lag, eingeklemmt in ihrem Wagen.
Mit der Miene eines Mannes, auf dessen Schultern schwere Sorgen lasten, kratzte er sich am Nacken und ging auf die Terrasse hinaus, um nach seinem Gast zu sehen. Er nahm das Fernglas und richtete es auf die Eclipse. Das Dinghi dümpelte friedlich am Heck des Segelschiffes, doch von Selina konnte er nirgends eine Spur entdecken.
Es war trotz allem ein schöner Tag. Genauso sonnig wie der vorige, jedoch kühler und mit einem ziemlichen Seegang von der Hafeneinfahrt her. Die Pinien warfen ihre Kronen dem Wind entgegen, und unten schlugen kleine Wellen fröhlich gegen die Slipanlage.
George genoß einfach alles um sich herum: den blauen Himmel, das blaue Meer, die Eclipse, die munter an ihrer Vertäuung zog, die weiße Terrasse, die roten Geranien - all das war ihm wohlvertraut, und trotzdem kam es ihm an diesem Morgen vor, als sähe er es zum erstenmal. Pearl saß am Ende des Anlegers und verspeiste ein delikates Stück Fischabfall, das sie gefunden hatte; Frances war wieder in San Antonio, und Juanita kochte ihm einen Kaffee. Lange hatte er sich nicht mehr so wohl gefühlt, so hoffnungsvoll und optimistisch. Es war, als hätte er monatelang in der düsteren Erwartung eines kommenden Unwetters gelebt. Jetzt war das Unwetter vorüber, der Druck war von ihm genommen, so daß er wieder frei atmen konnte.
Ein wenig wunderte er sich schon über seine gute Laune. Eigentlich hätte er sich mit Vorwürfen überschütten müssen, doch sein körperliches Wohlgefühl war stärker als sein Gewissen. Die ganze Zeit hatte er die Hände auf die Terrassenbrüstung gestützt, und als er sich jetzt aufrichtete, sah er, daß seine Handflächen voller Kalk waren. Er wollte sie gerade instinktiv an seinen Jeans abwischen, da entdeckte er seine Fingerabdrücke, die unter dem weißen Kalk sichtbar wurden und sich so deutlich und fein
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