Schlafender Tiger. Großdruck.
wie einen frischgefangenen Fisch. Sie setzten sich auf die Ruderbänke. „Es tut mir leid“, sagte sie. „Wollten Sie das Dinghi benutzen?“
Er dachte, daß jede andere Frau als allererstes eine Entschuldigung für sein Verhalten in der letzten Nacht verlangt hätte. Doch Selina war nicht wie jede andere Frau.
„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß ich es genommen habe ...“
„Nein, natürlich nicht.“
„Sie haben noch geschlafen, als ich herunterkam. Ich mußte Juanita hereinlassen.“ Er beobachtete sie, während sie sprach, ohne zu hören, was sie sagte, und versuchte sich mit dem niederschmetternden Gedanken anzufreunden, daß sie Rodney Ackland heiraten würde, daß sie die ganze Zeit mit ihm verlobt gewesen war, ohne ein Wort davon zu sagen.
„... und geht es Ihrer Freundin gut? Sie war nicht allzu böse, hoffe ich.“
„Meine Freundin? Ach so, Sie meinen Frances. Ich weiß nicht, ob sie böse ist. Sie ist noch gestern nacht nach San Antonio zurückgefahren. Sie wird sich wieder beruhigen, und alles ist vergessen.“
„Ich hätte nicht zur Casa Barco zurückkommen sollen, ich weiß das jetzt, aber...“
Er ertrug es nicht länger. „Selina!“
Sie runzelte die Stirn. „Stimmt irgend etwas nicht?“
„Hören Sie. Da wartet jemand in der Casa Barco auf Sie. Er ist gekommen, um Sie wieder mit nach London zu nehmen. Ein gewisser Rodney Ackland.“
Sie erstarrte und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Er ist letzte Nacht aus London hergeflogen. Als er aus Bournemouth zurückkam, stellte er fest, daß Sie allein nach San Antonio abgereist waren, also nahm er das nächstbeste Flugzeug. Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht Ihr Vater bin, und ich muß gestehen, er schien nicht besonders überrascht zu sein. Er will mit Ihnen reden.“
Eine kühle Brise kam vom Meer her, und Selina zitterte. Er sah die dünne Goldkette, die im Oberteil des winzigen Bikinis verschwand, den er ihr gekauft hatte. Jetzt wußte er, daß daran kein Konfirmationskreuz hing, wie er gedacht hatte. Er griff danach, zog die Kette heraus und damit auch Rodney Acklands Verlobungsring. Der Saphir und die Diamanten glänzten in der Sonne.
„Selina. Warum haben Sie mir das nie gesagt?“
Ihre Augen waren in diesem Moment beinah genauso blau wie der Saphir, den er unter ihrem Kinn hin und her schwingen ließ. „Ich weiß es nicht.“
„Sie sind mit Rodney verlobt?“
Sie nickte.
„Sie werden ihn nächsten Monat heiraten.“
Wieder nickte sie.
„Aber warum haben Sie ein solches Geheimnis daraus gemacht?“
„Es ist kein Geheimnis. Ich habe Rodney von Ihnen erzählt. Ich sagte ihm, ich glaubte, George Dyer sei mein Vater. Und ich wollte, daß er mit mir kommt, um Sie zu suchen. Aber er konnte nicht. Er hatte geschäftlich in Bournemouth zu tun, und offenbar konnte er sich nicht vorstellen, daß ich allein herfliegen würde. Er sagte, wenn Sie wirklich mein Vater wären, würde mein plötzliches Auftauchen Sie in eine peinliche Lage versetzen. Und wenn Sie nicht mein Vater wären, wäre es sowieso vergebliche Mühe. Er schien nicht zu begreifen, wie wichtig es für mich war; eine Familie zu haben, richtig zu jemandem zu gehören.“
„Kennen Sie ihn schon lange?“
„Seit ich ein kleines Mädchen war. Seine Firma kümmerte sich um alle finanziellen Angelegenheiten meiner Großmutter. Sie mochte ihn sehr und hat immer gehofft, ich würde ihn eines Tages heiraten.“
„Und das werden Sie jetzt tun.“
„Ja. Ich habe am Ende immer getan, was sie wollte.“ In Georges dunklen Augen konnte sie plötzlich Mitgefühl erkennen und erschrak. Bemitleidenswert wollte sie nun wirklich nicht erscheinen. „Wir ziehen aus Queen's Gate fort“, sagte sie schnell. „Wir haben eine
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