Schlafender Tiger. Großdruck.
reizende Wohnung in einem Neubau gefunden. Ich wünschte, Sie könnten sie sehen. Sie ist sehr sonnig und hat einen wundervollen Ausblick. Agnes wird mit uns kommen und bei uns wohnen. Ich habe mir sogar schon ein Hochzeitskleid gekauft. Es ist weiß und ganz lang. Mit einer Schleppe.“
„Aber Sie tragen Ihren Verlobungsring nicht am Finger, sondern haben ihn versteckt.“
„Ich dachte, Sie wären mein Vater. Ich wollte Ihnen beim erstenmal nur als Ihre Tochter gegenübertreten und nicht zu irgendeinem anderen Menschen oder einem anderen Leben gehören.“
„Lieben Sie ihn?“
„Eine ähnliche Frage habe ich Ihnen gestern gestellt, und Sie haben sie nicht beantwortet.“
„Das ist etwas anderes. Wir sprachen über meine Vergangenheit, und dies betrifft Ihre Zukunft.“
„Ja, ich weiß. Das macht es ja so schwierig.“
Er erwiderte darauf nichts. Selina hob die Arme und öffnete den Verschluß ihrer Goldkette. Der Ring glitt herunter, sie fing ihn auf und steckte ihn an ihren Finger. Dann legte sie sich die Kette wieder um. Sie schien völlig ruhig und gelassen. „Ich sollte Rodney nicht warten lassen“, sagte sie.
„Nein, natürlich nicht. Nehmen Sie das Dinghi, und ich werde Ihnen in Rafaels Holzkiste folgen. Aber stehlen Sie sich nicht davon, ohne mir auf Wiedersehen zu sagen.“
„So etwas würde ich niemals tun, das wissen Sie doch.“
Nach einer Weile war es Rodney auf der Terrasse zu heiß geworden. Er hätte sein Jackett ausziehen können, doch er trug Hosenträger, und es schien ihm unschicklich, in Hosenträgern herumzusitzen, also erhob er sich aus dem Rohrstuhl und ging ins Haus, wo es kühler war. Er schlenderte ein wenig durch die Räume und bemerkte Selina erst, als sie schon in der Tür stand und seinen Namen sagte.
Rodney blieb abrupt stehen und starrte sie ungläubig an. Nie hätte er gedacht, daß sich ein Mensch in so kurzer Zeit derart verändern konnte. Er hatte sie immer für eine farblose Person gehalten mit ihrer blassen Haut und dem rehbraunen Haar. Doch jetzt war sie braungebrannt, und ihr Haar, das immer noch naß war vom Baden, hatte von der Sonne blonde Strähnen bekommen. Sie trug einen Bikini, der seiner Meinung nach die Grenzen des guten Geschmacks weit überschritt, stand da und sah ihn an, während die große weiße Katze, die sich auf der Terrasse gesonnt hatte, hereinkam und sich zärtlich an ihre nackten Beine schmiegte.
Die Situation machte beide seltsam verlegen. Dann brach Selina das Schweigen. „Hallo, Rodney. Was für eine Überraschung.“ Sie versuchte, erfreut zu klingen, doch es gelang ihr nicht.
„Ja“, sagte Rodney. Es war schwer zu glauben, daß er gerade die lange Reise aus London hinter sich hatte. Man sah ihm nicht an, daß er die ganze Nacht in seinem Anzug im Flugzeug gesessen hatte und zu Fuß den steinigen, staubigen Weg vom Dorf in die Casa Barco gegangen war. Lediglich auf seinen Schuhen lag eine zarte weiße Staubschicht, sonst sah er genauso untadelig aus wie zu Hause. Er trat auf sie zu, legte ihr die Hände auf die Schultern und gab ihr einen Kuß. Dann schob er sie etwas von sich und warf einen mißbilligenden Blick auf ihren Bikini. „Was trägst du denn da?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Etwas anderes hatte ich nicht zum Baden.“ Auf der Wäscheleine hing ein alter Frotteebademantel von George, und sie ging auf die Terrasse und zog ihn an. Der Stoff war hart vom Salz und von der Sonne und duftete nach George. Sie wickelte ihn fester um sich. Sofort fühlte sie sich auf eine unerklärliche Art getröstet und gestärkt.
Rodney räusperte sich. „Es war nicht sehr rücksichtsvoll von dir hierherzufahren, ohne mir etwas davon zu sagen. Ich hätte vor Sorgen umkommen können.“
„Ich wußte ja, daß du in
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