Schlaflos in Seoul
Satz, den wir gut verstanden, denn mit Freunden trinken spielt eine wichtige Rolle im koreanischen Gesellschaftsleben
– das wussten sogar Sprachschüler im ersten Semester.
Wir gingen also mit Mr. Park in ein traditionelles koreanisches Restaurant. Für mich als Vegetarierin gab es kaum etwas zu essen. Fast alle Gerichte
enthielten Fleisch oder Meeresfrüchte. Ich aß Pfannkuchen und trank mit Mr. Park bunte Schnäpse. Soju, den Lieblingsschnaps der Koreaner, gibt es |36| wegen seines üblen Fuselgeschmacks auch mit künstlichem Fruchtaroma – Erdbeere, Pfirsich, Orange, Zitrone … Ich trank mich mit Mr. Park durch die gesamte Farbpalette und nebenbei konsumierte er noch Bier mit Ponta und den Japanerinnen, die sich wunderten,
warum ausgerechnet die Deutsche Bier und Würstchen nicht anrührte.
Mr. Park unterhielt sich mit uns abwechselnd auf Koreanisch, Japanisch und Englisch, aber je weiter der Abend fortschritt, desto
verwaschener sprach er, sodass es eigentlich egal war, welche Sprache er benutzte. Zur großen Enttäuschung einiger meiner
japanischen Kommilitoninnen erzählte er, dass er verheiratet sei. Das erklärte zumindest die Telefonanrufe einer offensichtlich
wütenden Dame, die er ungefähr jede halbe Stunde auf seinem Handy entgegennahm. Er erklärte gelassen, seine Ehefrau sei etwas
aufgebracht, weil er schon mehrere Abende hintereinander ziemlich spät und ziemlich angetrunken nach Hause gekommen sei. Wenn
sie anrief, flüsterte er beschwichtigend ein paar Worte auf Koreanisch ins Telefon, die vermutlich bedeuteten, dass er bald
nach Hause kommen würde und dass er den Studenten doch den Gefallen tun müsse, einen Abend mit ihnen zu verbringen. Da Mr. Parks Ehefrau sicher klar war, dass es am Sprachzentrum nur sehr wenige männliche Studenten gab, und sie vermutlich auch wusste,
dass Mr. Park in alkoholisiertem Zustand ein schwer zu zügelndes Temperament hatte, war ihr Misstrauen nur zu verständlich.
Mr. Park ließ sich von den ständigen Anrufen seiner Ehefrau aber wenig beeindrucken und ging mit uns zum Karaoke. Wir erwarteten,
dass er im Separee gleich das dort immer bereitliegende Tamburin ergreifen und seine Show abziehen würde. Überraschenderweise
wurde Mr. Park aber plötzlich melancholisch, setzte sich in eine Ecke und blies Trübsal. Er tröstete sich aber bald mit einem weiteren
Bier – es zählte bereits niemand mehr mit. Als er sich für seinen Auftritt bereit fühlte, |37| setzte er zu einer schwermütigen koreanischen Ballade an. Er sang mit geübter Stimme.
»Ob er das wohl einstudiert hat?«, fragte ich Ponta.
»Einstudiert wohl nicht. Er macht das nur fast jeden Tag«, sagte Ponta.
Als Ponta und ich an der Reihe waren, suchten wir uns »All I Want for Christmas Is You« aus. Wir konnten beide Mariah Carey
nicht besonders leiden, aber wenn man nicht gut singen kann, ist es wichtig, ein Lied zu wählen, das zur Stimmung passt, nicht
zu anspruchsvoll ist und das alle kennen – weil dann die anderen mitsingen und man so automatisch einen Hintergrundchor bekommt,
der ausgleicht, wenn die eigene Stimme mal wieder zu dünn ist, um die dramatischen Stellen des Liedes zu bewältigen. Ponta
und ich machten unser mangelndes Gesangstalent durch einen kecken Hüftschwung wett – was Mr. Park prompt mit Applaus honorierte und unseren Auftritt zu einem würdigen Abschluss brachte.
Irgendwann waren alle müde, betrunken, heiser oder alles zusammen. Wir wollten nach Hause gehen. Mr. Park aber traf Freunde, verabschiedete sich von uns und blieb. Am nächsten Morgen war die Semesterabschlussfeier, die wie
jeder offizielle Akt in Korea groß zelebriert wurde. Meine ganze Klasse sah müde und verquollen aus. Der Einzige, der noch
schlechter aussah, war Mr. Park.
Neben Mr. Park gab es viele Lehrer an der Ewha, die mich über die Monate hinweg unterrichteten. Da war die sanftmütige Miss Yi, die
es verstand, in einfachsten Worten komplizierte Sachverhalte darzustellen, die resolute, umwerfend komische Mrs. Gu, die warmherzige Mrs. Song, die witzig-charmante Mrs. Ok, die energische und aufmunternde Miss Park (die nichts mit Mr. Park zu tun hatte – in Korea sind die Nachnamen Park, Kim, Yi und Oh so weit verbreitet, dass sich Nachnamen als Unterscheidungsmerkmale
schlecht eignen) und einige Lehrerinnen, die ich lieber vergessen möchte.
|38| Konomi ging zurück nach Tokio und Ponta nach
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