Schlaflos - Insomnia
Softballfeld gefunden hatte, wo er über seinen alten Freund und Mentor Bob Polhurst weinte. Ralph hatte versucht, Bill von den Auren zu erzählen, und es war gewesen, als hätte McGovern ihn gar nicht hören können; er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sein abgegriffenes Drehbuch herunterzuleiern, wie beschissen es war, alt zu werden.
Ralph dachte an die sardonisch hochgezogene Braue. Den unweigerlichen Zynismus. Das lange, immer so düstere Gesicht. Die literarischen Anspielungen, bei denen Ralph gewöhnlich lächeln musste, sich aber oft auch ein wenig unterlegen fühlte. Und dann McGoverns Verhalten gegenüber Lois: herablassend, sogar ein bisschen grausam.
Doch das war alles andere als fair, und Ralph wusste es. Bill McGovern konnte gütig sein, und - was in diesem Fall wahrscheinlich wichtiger war -, verständnisvoll. Er und Ralph kannten sich seit mehr als zwanzig Jahren; die letzten zehn davon wohnten sie unter einem Dach. Er war einer von Carolyns Sargträgern gewesen, und wenn Ralph mit Bill nicht über das reden konnte, was ihm widerfahren war, mit wem dann?
Mit niemandem, schien die Antwort zu lauten.
Kapitel 10
1
Die dunstigen Ringe um die Straßenlaternen waren verschwunden, als der Morgen am Himmel im Osten graute, und um neun Uhr war der Tag klar und warm - möglicherweise der Anfang der letzten kurzen Phase des Altweibersommers. Ralph ging nach unten, sobald Good Morning America zu Ende war, fest entschlossen, McGovern zu erzählen, was mit ihm los war (jedenfalls so viel er sich traute), bevor er wieder den Mut verlor. Als er jedoch im unteren Stockwerk vor der Tür der Wohnung stand, konnte er die Dusche prasseln und William D. McGovern gnädigerweise gedämpft singen hören: »I Left My Heart in San Francisco.«
Ralph ging auf die Veranda hinaus, steckte die Hände in die Gesäßtaschen und las den Tag wie einen Katalog. Es gab nichts, überlegte er, wirklich nichts auf der Welt, das dem Oktobersonnenschein gleichkam; er konnte fast spüren, wie sich sein nächtliches Elend verflüchtigte. Es würde zweifellos zurückkehren, aber im Augenblick fühlte er sich gut - müde und benebelt im Kopf, ja, aber trotzdem weitgehend in Ordnung. Der Tag war mehr als schön; er war regelrecht prachtvoll, und Ralph bezweifelte, dass er vor dem nächsten Mai noch einmal einen ähnlich schönen erleben würde. Er kam zu dem Ergebnis, er wäre ein Narr,
ihn nicht auszunutzen. Ein Spaziergang zur Harris Avenue Extension und zurück würde eine halbe Stunde dauern, eine Dreiviertelstunde, wenn er jemanden treffen sollte, mit dem es sich lohnte, einen Plausch zu halten, und bis dahin würde sich Bill geduscht, rasiert, gekämmt und angezogen haben. Und bereit sein, ihm teilnahmsvoll zuzuhören, wenn Ralph Glück hatte.
Er ging bis zum Picknickgelände vor dem Zaun des County Airport ohne sich richtig einzugestehen, dass er insgeheim hoffte, den alten Dor zu treffen. Wenn ja, konnten sie beide sich vielleicht ein bisschen über Lyrik unterhalten - zum Beispiel über Stephen Dobyns -, vielleicht sogar ein wenig über Philosophie. Diesen Teil ihrer Unterhaltung könnten sie vielleicht damit beginnen, dass Dorrance erklärte, was »langfristige Angelegenheiten« waren und weshalb Ralph sich Dors Meinung nach »nicht einmischen« sollte.
Aber Dorrance hielt sich nicht am Picknickplatz auf; niemand war dort, außer Don Veazie, der Ralph erklären wollte, warum Bill Clinton seine Aufgabe als Präsident so schrecklich schlecht erfüllte und warum es für die guten alten Vereinigten Staaten besser gewesen wäre, wenn das amerikanische Volk das Finanzgenie Ross Perot gewählt hätte. Ralph (der für Clinton gestimmt hatte und fand, dass der Mann seine Aufgabe ziemlich gut erfüllte) hörte lange genug zu, um nicht als unhöflich zu gelten, dann behauptete er, er hätte einen Termin beim Friseur. Etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein.
»Und noch was!«, plärrte Don hinter ihm her. »Seine hochnäsige Frau! Die ist eine Lesbe! So was erkenne ich immer! Weißt du, woran? Ich seh mir ihre Schuhe an!
Schuhe sind eine Art Geheimcode bei denen! Sie tragen immer welche, die vorn ganz breit sind und …«
»Bis bald, Don!«, rief Ralph und trat hastig den Rückzug an.
Er war etwa eine Viertelmeile bergab gegangen, als der Tag lautlos um ihn herum explodierte.
2
Er befand sich gegenüber von May Lochers Haus, als es passierte. Er blieb wie angewurzelt stehen und sah mit großen, ungläubigen Augen die
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