Schlaflos - Insomnia
ihn Müdigkeit; er fühlte sich, als wäre er seit ungefähr drei Jahrhunderten wach. Gleichzeitig aber fühlte er sich besser als jemals zuvor seit Carolyns Tod. Mehr beieinander. Mehr er selbst.
Vielleicht möchtest du das auch nur glauben? Dass ein Mensch sich nicht so elend fühlen kann, ohne eine Art positive Wiedergutmachung? Das ist eine schöne Vorstellung, Ralph, aber nicht besonders realistisch.
Na gut, dachte er, vielleicht bin ich im Moment ein bisschen verwirrt.
Das war er in der Tat. Außerdem ängstlich, aufgekratzt, desorientiert und ein klein wenig geil. Doch eines drang ganz deutlich durch diesen Wirrwarr der Gefühle, eine Sache, die er erledigen musste, bevor er etwas anderes tun konnte: Er musste sich mit Bill versöhnen. Falls dazu eine Entschuldigung erforderlich war, das würde er über sich bringen. Vielleicht war eine Entschuldigung sogar angebracht. Schließlich war Bill nicht zu ihm gekommen und hatte gesagt: »Herrje, alter Freund, du siehst schrecklich aus, erzähl mir alles.« Nein, er war zu Bill gegangen. Er hatte es mit Bedenken getan, aber das änderte nichts an der Tatsache, und …
O Ralph, herrje, was soll ich nur mit dir machen? Es war Carolyns amüsierte Stimme, die so deutlich zu ihm sprach wie in den Wochen nach ihrem Tod, als er seinen größten Kummer verarbeitet hatte, indem er im Geiste mit ihr sprach … und manchmal laut, wenn er allein im Apartment war. Bill war derjenige, der sich vergessen hat, Liebling, nicht du. Wie ich sehe, bist du immer noch so fest entschlossen, hart zu dir selbst zu sein, wie zu meinen Lebzeiten. Ich schätze, manches ändert sich nie.
Ralph lächelte schwach. Ja, okay, möglicherweise änderte sich manches wirklich nie, und möglicherweise war der Streit wirklich mehr Bills Schuld als seine eigene gewesen. Die Frage war nur, wollte er sich wegen eines albernen Streits und einer Menge gespreizten Bockmists, wer nun recht hatte und wer nicht, Bills Freundschaft verscherzen? Ralphs Antwort darauf lautete Nein, und wenn eine Entschuldigung erforderlich wäre, die Bill eigentlich gar nicht verdiente, was war so schlimm daran? Seines Wissens war noch niemand an den drei Silben tut mir leid gestorben.
Die Carolyn in seinem Kopf reagierte auf diesen Gedanken mit sprachloser Fassungslosigkeit.
Schon gut, sagte er zu ihr, während er den Fußweg zum Haus entlangging. Ich tue das für mich, nicht für ihn. Oder für dich, da wir schon dabei sind.
Er stellte amüsiert und erstaunt fest, wie schuldig er sich bei diesem letzten Gedanken fühlte - fast als hätte er ein Sakrileg begangen. Aber deswegen war der Gedanke nicht weniger zutreffend.
Er kramte gerade in der Tasche nach dem Schlüssel, als er den Zettel sah, der an der Tür mit einer Reißzwecke befestigt
war. Ralph tastete nach seiner Brille, aber die hatte er oben auf dem Küchentisch liegen lassen. Er beugte sich nach vorn und kniff die Augen zusammen, damit er Bills krakelige Handschrift lesen konnte:
Liebe(r) Ralph/Lois/Faye/wer auch immer, ich gehe davon aus, dass ich den größten Teil des Tages im Derry Home verbringen werde. Bob Polhursts Nichte hat angerufen und mir gesagt, dass es diesmal mit ziemlicher Sicherheit ernst wird; der arme Mann hat seinen Kampf beinahe hinter sich. Zimmer 313 in der Intensivstation des Derry Home ist so ziemlich der letzte Ort auf der Welt, wo ich an einem so schönen Oktobertag sein möchte, aber ich schätze, ich sollte das bis zum Ende durchziehen.
Ralph, es tut mir leid, dass ich Dich heute Morgen so vor den Kopf gestoßen habe. Du bist zu mir gekommen, weil Du Hilfe wolltest, und ich hätte Dir fast die Augen ausgekratzt. Ich kann als Entschuldigung nur sagen, dass ich wegen der Sache mit Bob völlig mit den Nerven runter bin. Okay? Ich glaube, ich schulde Dir ein Abendessen … das heißt, wenn du noch mit jemandem wie mir zusammen essen willst.
Faye, bitte, bitte, BITTE hör auf, mich wegen Deinem verfluchten Schachturnier zu nerven. Ich habe Dir versprochen, dass ich spielen werde, und ich halte meine Versprechen.
Lebwohl, grausame Welt
Ralph richtete sich mit einem Gefühl der Dankbarkeit und Erleichterung auf. Wenn sich nur alles, was ihm in letzter Zeit widerfahren war, so leicht aus der Welt schaffen ließe wie das hier!
Er ging nach oben, schüttelte den Teekessel und füllte ihn gerade an der Spüle, als das Telefon läutete. Es war John Leydecker. »Mann, bin ich froh, dass ich Sie endlich erwischt habe«, sagte er. »Ich hatte
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