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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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aber Lois brach, entsetzt und verängstigt, in Tränen aus, und das hielt ihn zurück. Unter dem Blick bestürzter Zurechtweisung aus ihren Augen bereute er seinen Gefühlsausbruch
zumindest ein wenig. Er legte den Arm um Lois’ Schultern und sah die beiden kahlköpfigen Männer trotzig an.
    Diese wechselten wieder einen Blick, und etwas - eine Form der Kommunikation, die seine und Lois’ Fähigkeit, zu hören oder zu verstehen, gerade überstieg - wurde zwischen ihnen ausgetauscht. Als Lachesis sich wieder zu ihnen umdrehte, lächelte er … aber seine Augen blickten ernst.
    [Ich begreife Ihren Zorn, Ralph, aber er ist nicht gerechtfertigt. Das glauben Sie jetzt nicht, aber vielleicht später einmal. Vorerst jedoch müssen wir Ihre Fragen und unsere Antworten - soweit wir Antworten geben können - zurückstellen.]
    [»Warum?«]
    [Weil für diesen Mann die Zeit des Durchschneidens gekommen ist. Seht genau hin, auf dass ihr lernet und wisset.]
    Klotho ging zur linken Seite des Betts. Lachesis näherte sich ihm von rechts und ging dabei durch Faye Chapin hindurch. Faye bückte sich, weil ihn ein plötzlicher Hustenanfall schüttelte, und als der nachgelassen hatte, schlug er das Buch über Schachprobleme wieder auf.
    [»Ralph, ich kann nicht zusehen! Ich kann nicht zusehen, wie sie das tun!«]
    Aber Ralph glaubte, dass sie es dennoch tun würde. Er glaubte, dass sie es beide tun würden. Er drückte sie fest an sich, als sich Klotho und Lachesis über Jimmy V. beugten. Liebe und Anteilnahme und Sanftheit sprachen aus ihren Gesichtern; Ralph musste an die Gesichter denken, die er einmal auf einem Gemälde von Rembrandt gesehen hatte - Die Nachtwache hatte es geheißen, soweit er
wusste. Ihre Auren überlappten sich und verschmolzen über Jimmys Brust. Und plötzlich schlug der Mann im Bett die Augen auf. Er sah einen Moment mit vagem und verwirrtem Gesichtsausdruck durch die beiden kahlköpfigen Ärzte hindurch zur Decke, dann glitt sein Blick zur Tür, und er lächelte.
    »He! Seht mal, wer hier ist!«, rief Jimmy V. aus. Seine Stimme klang eingerostet und erstickt, aber Ralph konnte immer noch den South Bostoner Intellektuellenslang hören, bei dem hier zu hiahr wurde. Faye zuckte zusammen. Das Schachbuch plumpste aus seinem Schoß und fiel zu Boden. Er beugte sich nach vorn und ergriff Jimmys Hand, aber Jimmy beachtete ihn gar nicht, sondern sah durch das Zimmer zu Ralph und Lois. »Ralph Roberts! Und Paul Chasses Frau is bei ihm! Sag, Ralphie, erinnerst du dich noch an den Tag, als wir versuchten, in die Zeltmission zu gelangen, um zuzuhören, wie sie ›Amazing Grace‹ singen?«
    [»Ich erinnere mich, Jimmy.«]
    Jimmy schien zu lächeln, dann schloss er wieder die Augen. Lachesis legte dem sterbenden Mann behutsam die Hände auf die Wangen und rückte seinen Kopf ein wenig zurecht, wie ein Barbier, der dabei ist, einen Kunden zu rasieren. Im selben Augenblick beugte sich Klotho noch dichter über ihn, klappte die Schere auf und schob sie nach vorn, sodass sich die schwarze Ballonschnur von Jimmy V. zwischen den Scherenblättern befand. Als Klotho die Schere zuklappte, beugte sich Lachesis vor und gab Jimmy einen Kuss auf die Stirn.
    [Geh in Frieden, mein Freund.]
    Ein leises, unbedeutendes Schnipp! ertönte. Der Teil der Ballonschnur oberhalb der Schere schwebte zur Decke und
verschwand. Das Leichentuch, das Jimmy V. einhüllte, wurde einen Augenblick grellweiß, dann erlosch es wie das von Rosalie am frühen Abend. Jimmy machte die Augen wieder auf und sah Faye an. Er lächelte, fand Ralph, und dann richtete er den Blick starr in die Ferne. Die Grübchen, die sich an seinen Mundwinkeln gebildet hatten, glätteten sich.
    »Jimmy?« Faye schüttelte die Schulter von Jimmy V., wobei er mit der Hand durch Lachesis hindurchgreifen musste. »Alles in Ordnung, Jimmy? … O Scheiße.«
    Faye stand auf und verließ hastig das Zimmer.
    Klotho: [Seht und begreift ihr, dass wir das, was wir tun, mit Liebe und Respekt tun? Dass wir de facto die Ärzte des letzten Stück Wegs sind? Es ist wichtig für unsere gegenseitigen Beziehungen, Ralph und Lois, dass ihr das versteht.]
    [»Ja.«]
    [»Ja.«]
    Ralph hatte nicht die Absicht gehabt, irgendeinem Satz der beiden zuzustimmen, aber dieser Begriff - die Ärzte des letzten Stück Wegs - schnitt sauber und mühelos durch seinen Zorn. Er klang aufrichtig. Sie hatten Jimmy V. aus einer Welt befreit, in der es nichts mehr für ihn gab außer Schmerzen. Ja, zweifellos hatten sie auch

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