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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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was?«
    »Ja.«
    »Nur Luft geholt.«
    »Lois, du hörst dich wie eine kaputte Schallplatte an.«
    »Nun, die kaputte Schallplatte wird dir etwas sagen, okay? Du bist verrückt , dass du bei dieser Hitze den Up-Mile Hill raufgehst. Wenn du spazieren gehen willst, warum gehst du dann nicht wie früher auf der Extension, wo es flach ist?«
    »Weil mich das an Carolyn erinnert«, sagte er, und ihm gefiel der steife, fast grobe Ton nicht, mit dem es herauskam, aber er konnte nichts dagegen tun.
    »O Scheiße«, sagte sie und berührte kurz seine Hand. »Tut mir leid.«
    »Ist schon gut.«
    »Nein, ist es nicht. Ich hätte es wissen müssen. Aber wie du gerade ausgesehen hast, das ist auch nicht gut. Du bist keine zwanzig mehr, Ralph. Nicht einmal vierzig. Ich will nicht sagen, dass du nicht gut in Form bist - jeder kann sehen, dass du für jemand in deinem Alter toll in Form bist -, aber du solltest besser auf dich achten. Carolyn hätte gewollt, dass du besser auf dich achtgibst.«
    »Ich weiß«, sagte er, »aber ich bin wirklich …«
    … in Ordnung, wollte er sagen, aber dann sah er von seinen Händen auf in ihre dunklen Augen, und was er da sah, machte es ihm einen Augenblick unmöglich, weiterzusprechen.
In ihren Augen standen Erschöpfung und Traurigkeit geschrieben, sah er … oder war es Einsamkeit? Vielleicht beides. Auf jeden Fall war das nicht das Einzige, das er sah. Er sah auch sich selbst.
    Du bist albern, sagten die Augen, in die er sah. Vielleicht sind wir es beide. Du bist siebzig und Witwer, Ralph. Ich bin achtundsechzig und Witwe. Wie lange sollen wir abends noch auf deiner Veranda sitzen - mit Bill McGovern als ältester Anstandsdame der Welt? Ich hoffe, nicht mehr allzu lange, weil wir beide nicht mehr gerade die Frischesten im Laden sind.
    »Ralph?«, sagte Lois plötzlich besorgt. »Alles in Ordnung?«
    »Ja«, sagte er und sah wieder auf seine Hände. »Ja, klar.«
    »Du hast einen Gesichtsausdruck gehabt, als ob … nun, ich weiß auch nicht.«
    Ralph fragte sich, ob das Zusammenwirken von Hitze und dem Spaziergang den Up-Mile Hill hinauf sein Gehirn wohl ein bisschen durcheinandergebracht hatte. Schließlich war das Lois , die McGovern immer (mit einer klein wenig sardonisch hochgezogenen linken Augenbraue) »unsere Lois« nannte. Und ja, okay, sie war immer noch gut in Form - feste Beine, ansehnlicher Busen und diese bemerkenswerten Augen -, und möglicherweise würde es ihm nichts ausmachen, sie mit ins Bett zu nehmen, und möglicherweise würde es ihr nichts ausmachen, mitgenommen zu werden. Aber was würde danach kommen? Wenn sie die Kinokarte aus dem Buch, das er gerade las, herausragen sah, würde sie sie auch herausziehen, weil sie zu neugierig war, welchen Film er gesehen hatte, um auf sein Lesezeichen zu achten?

    Ralph glaubte nicht. Lois’ Augen waren bemerkenswert, und er hatte mehr als einmal festgestellt, wie sein Blick den V-Ausschnitt ihrer Bluse hinunterwanderte, wenn sie zu dritt abends, wenn es kühler wurde, auf der vorderen Veranda saßen und Eistee tranken, aber er hatte eine Ahnung, dass der kleine Mann den großen Mann auch mit siebzig noch in Schwierigkeiten bringen konnte. Alt zu werden war keine Entschuldigung dafür, sorglos zu werden.
    Er stand auf und spürte, wie Lois ihn ansah, weshalb er sich besonders um eine aufrechte Haltung bemühte. »Danke für deine Anteilnahme«, sagte er. »Möchtest du einen alten Mann die Straße hoch bringen?«
    »Danke, aber ich fahre in die Innenstadt. Sie haben ein wunderschönes rosa Garn im Sewing Circle, und ich habe an eine Decke gedacht. Ich werde einfach hier auf den Bus warten und mich derweil über meine Gutscheine freuen.«
    Ralph grinste. »Mach das.« Er sah zu den Kindern auf dem Baseballfeld. Vor seinen Augen startete ein Junge mit einem außergewöhnlichen roten Haarschopf vom dritten Mal, warf sich mit dem Kopf voran nach vorn und prallte mit einem vernehmlichen Klonk mit den Schienbeinschonern des Fängers zusammen. Ralph zuckte zusammen und dachte an Krankenwagen mit Blinklichtern und heulenden Sirenen, aber der Rotschopf sprang lachend wieder auf die Füße.
    »Hast nicht berührt, du Flasche!«, rief er.
    »Einen Scheißdreck hab ich!«, antwortete der Fänger beleidigt, aber dann fing er auch an zu lachen.
    »Wünschst du dir manchmal, du wärst auch noch in dem Alter, Ralph?«, fragte Lois.

    Er dachte darüber nach. »Manchmal«, sagte er. »Meistens sieht es mir einfach zu anstrengend aus. Komm heute Abend

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