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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Lösung ist Whiskey«, sagte er.
    »Pardon?«
    »Für deine Schlaflosigkeit, Ralph. Ich meine nicht, dass du darin baden solltest - dazu besteht kein Grund. Du
solltest einfach einen Esslöffel Honig mit einem halben Glas Whiskey mischen und das fünfzehn oder zwanzig Minuten, bevor du dich in die Falle haust, trinken.«
    »Meinst du?«, hatte Ralph hoffnungsvoll gefragt.
    »Ich kann nur sagen, dass es mir geholfen hat, und ich hatte wirklich Schlafstörungen, als ich um die vierzig war. Wenn ich heute zurückdenke, schätze ich, dass das meine Midlife-Crisis gewesen sein muss - sechs Monate Schlaflosigkeit und ein Jahr lang Depressionen wegen meiner kahlen Stelle.«
    Obwohl in allen Büchern, die er konsultiert hatte, zu lesen stand, dass Alkohol ein weit überschätztes Mittel gegen Schlaflosigkeit sei - dass er das Problem nicht selten schlimmer statt besser mache -, hatte Ralph es trotzdem versucht. Er war nie ein großer Trinker gewesen, daher reduzierte er McGoverns empfohlene Dosis von einem halben Glas auf ein Viertelglas, aber nach einer Woche ohne Besserung hatte er sie auf ein volles Glas hochgeschraubt … dann zwei. Er wachte um 4.22 Uhr mit garstigen Kopfschmerzen auf, die den dumpfen braunen Geschmack von Early Times auf seinem Gaumen begleiteten, und hatte festgestellt, dass er seit fünfzehn Jahren zum ersten Mal wieder mit einem Kater aufgewacht war.
    »Das Leben ist zu kurz für diesen Quatsch«, hatte er seiner leeren Wohnung verkündet, und das war das Ende des großen Whiskeyexperiments gewesen.

2
    Okay, dachte Ralph jetzt, während er den sporadischen Vormittagsstrom der Kunden beobachtete, die auf der anderen Straßenseite ins Red Apple hinein und wieder hinausgingen. Das ist die Situation: McGovern sagt, du siehst beschissen aus, heute Morgen bist du fast vor Lois Chasses Füßen in Ohnmacht gefallen, und du hast gerade deinen Termin beim alten Hausarzt abgesagt. Was nun? Lässt du es einfach dabei bewenden? Akzeptierst du die Situation und belässt es dabei?
    Der Gedanke besaß einen gewissen orientalischen Charme - Schicksal, Karma und so weiter -, aber er würde mehr als Charme brauchen, um die langen, frühen Morgenstunden zu überstehen. In den Büchern stand, dass es Menschen auf der Welt gab, und nicht einmal wenige, die ganz gut mit nicht mehr als drei oder vier Stunden Schlaf täglich auskamen. Es gab sogar einige, denen reichten zwei. Sie waren eine extrem kleine Minderheit, aber es gab sie. Ralph Roberts jedoch gehörte nicht zu ihnen.
    Wie er aussah, war ihm nicht besonders wichtig - er hatte das Gefühl, dass seine Tage als Frauenidol bei Matinéen längst hinter ihm lagen -, aber wie er sich fühlte, das war ihm wichtig, und es ging nicht mehr darum, dass er sich schlecht fühlte, er fühlte sich grässlich. Die Schlaflosigkeit durchdrang sein ganzes Leben, so wie der Geruch von brutzelndem Knoblauch im fünften Stock letztlich das ganze Gebäude durchzieht. Die Umwelt verlor ihre Farben; die Welt nahm das graue, körnige Aussehen eines Zeitungsfotos an.

    Einfache Entscheidungen - zum Beispiel, ob er sich ein tiefgekühltes Fertiggericht auftauen oder sich im Red Apple ein Sandwich holen und zum Picknickplatz an der Startbahn 3 gehen sollte - wurden schwierig, fast quälend. In den vergangenen zwei Wochen war er immer häufiger mit leeren Händen von Dave’s Video Stop zurückgekommen, aber nicht, weil er bei Dave nichts fand, das er sehen wollte, sondern weil es zu viel gab - er konnte sich nicht entscheiden, ob er einen der Dirty Harry -Filme, eine Komödie mit Billy Crystal oder ein paar der alten Folgen von Raumschiff Enterprise sehen wollte. Nach ein paar solcher erfolgloser Ausflüge war er genau in diesen seinen Ohrensessel gefallen und hatte vor Frustration fast geweint … und vermutlich auch vor Angst.
    Die schleichende Lähmung der Sinne und die Erosion seiner Entscheidungsfähigkeit waren aber nicht die einzigen Probleme, die er mit seiner Schlaflosigkeit in Verbindung brachte; sein Kurzzeitgedächtnis ließ ebenfalls deutlich nach. Er ging gewohnheitsmäßig mindestens einmal pro Woche ins Kino, mitunter zweimal, seit er von der Druckerei, wo er als Buchhalter und Abteilungsleiter gearbeitet hatte, in den Ruhestand geschickt worden war. Bis letztes Jahr hatte er Carolyn mitgenommen, bis sie zu krank geworden war, um das Ausgehen zu genießen. Nach ihrem Tod war er meistens allein gegangen, nur ein- oder zweimal hatte ihn Helen Deepneau begleitet, wenn Ed zu Hause

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