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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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kämpfte Ralph erfolgreich dagegen an und schaffte es, bis Whoopi wach zu bleiben (obwohl er bei Whoopis Unterhaltung mit Roseanne Arnold, dem Gast dieses Abends, fast eingenickt wäre), und dann bis zum anschließenden Spätfilm. Es handelte sich um einen alten
Streifen mit Audie Murphy, in dem Audie den Krieg im Pazifik praktisch im Alleingang zu gewinnen schien. Manchmal hatte Ralph den Eindruck, als existierte eine unausgesprochene Abmachung zwischen den lokalen Fernsehsendern, wonach Filme, die in den frühen Morgenstunden gesendet wurden, nur Audie Murphy oder James Brolin in den Hauptrollen haben durften.
    Nachdem der letzte japanische Bunker gesprengt worden war, verabschiedete sich Kanal 2. Ralph schaltete herum und suchte nach einem anderen Film, fand aber nichts als Flimmern. Mit einem Kabelanschluss hätte er wohl die ganze Nacht Filme sehen können, vermutete er, so wie Bill unten oder Lois; er erinnerte sich, dass er es auch auf seine Liste zu erledigender Dinge im neuen Jahr geschrieben hatte. Aber dann war Carolyn gestorben, und Kabelfernsehen schien - mit oder ohne Home-Box-Office-Anschluss - nicht mehr wichtig zu sein.
    Er fand eine Ausgabe von Sports Illustrated und las einen Artikel über Damentennis durch, den er beim ersten Mal vergessen hatte, und sah immer wieder auf die Uhr, als sich die Zeiger der Drei näherten. Er war fast überzeugt, dass es funktionieren würde. Seine Lider waren so schwer, als hätte man sie in Beton getaucht, und obwohl er den Tennisartikel gründlich las, Wort für Wort, hatte er keine Ahnung, worauf der Verfasser hinauswollte. Ganze Sätze schossen durch sein Gehirn, ohne sich festzusetzen, wie kosmische Strahlen.
    Ich werde heute Nacht schlafen - das glaube ich wirklich. Zum ersten Mal seit Monaten wird die Sonne ohne meine Hilfe aufgehen müssen, und das ist nicht nur gut, Freunde und Nachbarn, das ist großartig .

    Kurz nach drei Uhr löste sich die angenehme Schläfrigkeit dann langsam auf. Sie ging nicht mit einem Knall, wie ein Sektkorken, sondern schien wegzutröpfeln wie Sand durch ein feines Sieb oder Wasser einen teilweise verstopften Abfluss hinunter. Als Ralph feststellte, was passierte, verspürte er keine Panik, sondern niedergeschlagene Resignation. Er kannte das Gefühl als wahres Gegenteil von Hoffnung, und als er um Viertel nach drei mit seinen Hausschuhen ins Schlafzimmer schlurfte, konnte er sich nicht erinnern, schon einmal eine solch tiefe Depression erlebt zu haben wie die, die ihn jetzt umfing. Ihm war, als müsste er daran ersticken.
    »Bitte, Gott, nur ein kleines Nickerchen«, murmelte er, als er das Licht ausschaltete, aber er vermutete sehr, dass dieses Gebet nicht erhört werden würde.
    Es wurde nicht erhört. Inzwischen war er fast vierundzwanzig Stunden wach, aber um Viertel vor vier war jedes Quentchen Schläfrigkeit aus seinem Geist und seinem Körper verschwunden. Er war müde, ja - müder und erschöpfter als jemals zuvor in seinem Leben -, aber müde und schläfrig zu sein, hatte er feststellen müssen, waren mitunter so weit voneinander entfernt wie der Nordpol vom Südpol. Der Schlaf, der urteilslose Freund, die beste und zuverlässigste Krankenschwester der Menschheit seit Anbeginn der Zeit, hatte ihn wieder im Stich gelassen.
    Um vier Uhr war ihm sein Bett verhasst geworden, wie immer wenn er feststellte, dass er keine gute Verwendung dafür hatte. Er schwang die Füße wieder auf den Boden und kratzte sich das - inzwischen fast komplett graue - Haar, das sich aus dem weitgehend aufgeknöpften Pyjamaoberteil
kräuselte. Er schlüpfte in die Hausschuhe und schlurfte ins Wohnzimmer zurück, wo er sich in seinen Ohrensessel fallen ließ und auf die Harris Avenue hinausschaute. Diese lag wie eine Bühnenkulisse vor ihm, und der einzige, im Augenblick zu sehende Schauspieler war nicht einmal ein Mensch: Es war ein streunender Hund, der langsam in Richtung Strawford-Park und Up-Mile Hill die Harris Avenue hinunterlief. Er hielt das rechte Hinterbein so weit wie möglich hoch und hinkte so gut es ging auf den drei anderen.
    »Hallo, Rosalie«, murmelte Ralph und rieb sich mit einer Hand die Augen.
    Es war Donnerstagmorgen, in der Harris Avenue wurde der Müll abgeholt, daher war er nicht überrascht, Rosalie hier zu sehen, die seit etwa einem Jahr quasi als wanderndes Inventar durch die Nachbarschaft streifte. Sie schlich gemächlich die Straße entlang und untersuchte die Reihen und Gruppen der Mülltonnen so wählerisch wie ein

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