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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihr ganzes Gesicht.
    Ralph fühlte sich überhaupt nicht mehr müde. Er sprintete den Gang entlang, riss die Tür auf und lief nach draußen. Er kam gerade noch rechtzeitig, um Helen an den Schultern zu halten, als diese mit der Hüfte an die Kühltruhe stieß - glücklicherweise nicht die Hüfte, auf der Natalie ruhte - und in eine andere Richtung weitertorkelte.
    »Helen!«, rief er. »Mein Gott, Helen, was ist denn passiert?«
    »Hnh?«, fragte sie mit dumpf neugieriger Stimme, die keine Ähnlichkeit mit der Stimme der munteren jungen Frau hatte, die ihn manchmal ins Kino begleitete und wegen Mel Gibson seufzte. Ihr gutes Auge drehte sich zu ihm, und er sah dieselbe dumpfe Neugier darin, der Ausdruck zeigte, dass sie nicht wusste, wer sie war, geschweige denn, wo sie war oder was geschehen war, oder wann. »Hnh? Ral? Wa?«
    Das Baby rutschte. Ralph ließ Helen los, griff nach Natalie und schaffte es, einen Träger ihrer Strampelhose zu fassen zu bekommen. Nat schrie, ruderte mit den Händen und sah ihn mit ihren großen, dunkelblauen Augen an. Er schob die andere Hand einen Augenblick, bevor der Träger
der Strampelhose riss, zwischen Nats Beine. Einen Moment lang balancierte das weinende Baby auf seiner Hand wie ein Turner auf dem Schwebebalken, und Ralph konnte den feuchten Wulst der Windeln durch ihren Overall spüren. Dann schob er die andere Hand hinter ihren Rücken und drückte sie an seine Brust. Sein Herz schlug heftig, und obwohl er das Baby nun sicher in Händen hielt, sah er es immer noch wegrutschen, sah den Kopf mit dem seidenweichen Haar mit einem scheußlichen Knirschen auf den mit Zigarettenkippen übersäten Asphalt prallen.
    »Hnh? Ar? Ral?«, fragte Helen. Sie sah Natalie in Ralphs Armen, und da verschwand die Ausdruckslosigkeit teilweise aus ihrem guten Auge. Sie hob die Hände zu dem Kind, und in Ralphs Armen ahmte Natalie die Bewegung mit ihren eigenen Patschhändchen nach. Dann stolperte Helen, stieß gegen die Hauswand und torkelte einen Schritt zurück. Ein Fuß verfing sich im anderen (Ralph sah Blutspritzer auf ihren schmalen, weißen Turnschuhen, und es war erstaunlich, wie hell auf einmal alles war; die Farbe war in die Welt zurückgekommen, zumindest vorübergehend). Sie wäre gestürzt, hätte Sue sich nicht in diesem Augenblick entschieden, auch endlich nach draußen zu kommen. Daher fiel Helen statt zu Boden einfach gegen die offene Tür und lehnte sich daran wie ein Betrunkener an einen Laternenpfahl.
    »Ral?« Der Ausdruck in ihren Augen war jetzt ein wenig schärfer, und Ralph sah, dass es weniger Neugier als vielmehr Fassungslosigkeit war. Sie holte tief Luft und bemühte sich mit äußerster Anstrengung, verständliche Worte über die geschwollenen Lippen zu bringen. »Gi. Gi mi mein Bay -bie. Gi mi Nah-lie.«

    »Noch nicht, Helen«, sagte Ralph. »Im Augenblick bist du nicht sicher genug auf den Beinen.«
    Sue stand immer noch auf der anderen Seite der Tür und stemmte sich dagegen, damit Helen nicht fiel. Wangen und Stirn des Mädchens waren aschfahl, Tränen standen in ihren Augen.
    »Kommen Sie raus«, sagte Ralph. »Stützen Sie sie.«
    »Ich kann nicht«, heulte sie. »Sie ist ganz bluh-bluh- blutig! «
    »Um Himmels willen, hören Sie auf! Das ist Helen! Helen Deepneau, die hier in der Straße wohnt!«
    Obwohl Sue das gewusst haben musste, schien allein der Klang des Namens Wirkung zu zeigen. Sie kam um die offene Tür herum, und als Helen wieder rückwärtstaumelte, legte Sue ihr einen Arm um die Schultern und hielt sie fest. Der Ausdruck ungläubiger Überraschung blieb in Helens Gesicht. Ralph fiel es immer schwerer, sie anzusehen. Er fühlte sich durch und durch elend.
    »Ralph? Was ist passiert? War das ein Unfall?«
    Er drehte sich um und sah Bill McGovern am Rand des Parkplatzes stehen. Er trug eines seiner schicken blauen Hemden, bei dem die Bügelfalten noch an den Ärmeln zu sehen waren, und hielt eine seiner seltsam zierlichen Hände mit den langen Fingern hoch, um die Augen abzuschirmen. So sah er merkwürdig und irgendwie nackt aus, aber Ralph hatte keine Zeit, über den Grund dafür nachzudenken; zu viel spielte sich hier ab.
    »Es war kein Unfall«, sagte er. »Sie ist verprügelt worden. Hier, nimm das Kind.«
    Er hielt Natalie zu McGovern hin, der zuerst zurückzuckte, dann aber das Baby nahm. Natalie fing sofort wieder
an zu kreischen. McGovern, der aussah, als hätte ihm gerade jemand eine randvolle Kotztüte in die Hand gedrückt, hielt sie auf

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