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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der viertgrößten Stadt von Maine. Ralph dachte an die vielen Leute, die durch diese Türen ein und aus gegangen sein mussten - die unzähligen Bankette, Versammlungen, Münzbörsen, Konzerte, Basketballturniere - und wusste, worum es sich bei der halbdurchsichtigen Schlacke handelte. Er war das Äquivalent der leichten Vertiefung, die man manchmal in der Mitte vielbegangener Treppenstufen sah.
    Lass das jetzt, Liebling - kümmere dich um deine Aufgabe.
    In der Nähe kritzelte Connie Chung ihren Namen auf die Rückseite von Lois Stromrechnung für den Monat September. Ralph betrachtete den schlammigen Rückstand auf der Betonschürze vor den Türen, suchte nach einer Spur von Atropos. Nach etwas, was man nicht so sehr als visuellen Eindruck wahrnahm, sondern mehr als Geruch, als widerlich fleischigen Geruch, wie der, der in Ralphs Kindheit immer über der Gasse hinter Mr. Hustons Metzgerei gehangen hatte.

    »Danke«, plapperte Lois. »Ich habe zu Norton gesagt: ›Sie sieht genau wie im Fernsehen aus, wie ein kleines Porzellanpüppchen. ‹ Genau das waren meine Worte.«
    »Sehr gern geschehen«, sagte Chung, »aber jetzt muss ich mich wirklich wieder an die Arbeit machen.«
    »Aber gewiss. Und grüßen Sie Dan Rather von mir, ja? Sagen sie ihm, ich hätte gesagt: ›Nur Mut!‹«
    »Ich werde es ihm ganz gewiss ausrichten.« Chung lächelte und nickte, während sie Rosenberg den Kugelschreiber zurückgab. »Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden…«
    Wenn es hier ist, dann weiter oben, als ich es bin, dachte Ralph. Ich muss noch etwas höher emporsteigen.
    Ja, aber er musste äußerst vorsichtig vorgehen, denn inzwischen war nicht nur die Zeit ein überaus wertvolles Gut geworden. Es war eine simple Tatsache, dass er aus der Welt der Kurzfristigen verschwinden würde, wenn er zu weit emporstieg, und ein solches Ereignis würde selbst die Nachrichtenteams von der bevorstehenden Demonstration der Abtreibungsgegner ablenken … zumindest für eine Weile.
    Ralph konzentrierte sich, aber diesmal erfolgte das schmerzlose Zucken in seinem Kopf nicht als Blinzeln, sondern wie ein langsamer Peitschenhieb. Farbe erblühte lautlos in der Welt; alles zeichnete sich mit hervorstechender Brillanz ab. Aber die deutlichste dieser Farben, der überwältigende Schlüsselakkord, war das Schwarz des Leichentuchs, es war eine Negierung aller anderen Farben. Niedergeschlagenheit und das Gefühl lähmender Schwäche befielen ihn wieder, bohrten sich in sein Herz wie die spitzen Enden eines Klauenhammers. Wenn er hier oben
etwas zu erledigen hatte, wurde ihm klar, sollte er es besser schnell erledigen und wieder auf die Ebene der Kurzfristigen zurückkehren, bevor er seiner ganzen Lebenskraft beraubt wurde.
    Er sah wieder zu den Türen. Einen Augenblick konnte er wie zuvor nur die verblassenden Auren der Kurzfristigen erkennen, wie er einer war … aber dann wurde plötzlich deutlich, wonach er suchte, es erschien wie eine mit Zitronensaft geschriebene Geheimbotschaft, wenn man sie dicht an eine Kerzenflamme hält.
    Er hatte mit etwas gerechnet, das wie die verfaulenden Innereien in den Abfallbehältern hinter der Metzgerei von Mr. Huston riechen und aussehen würde, aber die Wirklichkeit war noch schlimmer, wahrscheinlich deshalb, weil es so unerwartet kam. Auf den Türen selbst befanden sich Schlieren einer blutigen, schleimigen Substanz - möglicherweise Spuren von Atropos’ rastlosen Fingern -, und eine abstoßend große Pfütze derselben Substanz sank in die hart gewordenen Rückstände vor den Türen ein. Das Zeug hatte etwas so Schreckliches an sich - etwas so Fremdartiges dass die farbigen Käfer im Vergleich dazu fast normal wirkten. Es wirkte wie eine Lache Erbrochenes von einem Hund, der an einer neuen und gefährlichen Form von Tollwut litt. Eine Spur dieser Substanz führte von der Lache weg, zuerst in trocknenden Klümpchen und Spritzern, dann in kleineren Tropfen, wie verschüttete Farbe.
    Natürlich, dachte Ralph. Darum ist er hergekommen. Der kleine Dreckskerl kann nicht anders. Für ihn ist dieser Ort wie Kokain für einen Drogensüchtigen. Er konnte sich vorstellen, wie Atropos genau da stand, wo er, Ralph,
sich gerade befand, wie er hinsah … grinste … dann weiterging und die Hände auf die Türen legte. Sie streichelte. Die schmutzigen, schleimigen Abdrücke hinterließ. Er konnte sich vorstellen, wie Atropos Kraft und Energie aus eben der Schwärze bezog, die Ralph seiner Vitalität

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