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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Armeslänge von sich, sodass ihre Füße baumelten. Hinter ihm fand sich eine kleinere Menschenmenge ein, darunter zahlreiche Kinder in Baseballtrikots, die von ihrem nachmittäglichen Spiel auf dem Sportplatz um die Ecke kamen und auf dem Weg nach Hause waren. Sie starrten Helens geschwollenes und blutiges Gesicht mit einem unangenehmen Interesse an, und Ralph musste an die Geschichte in der Bibel denken, wie sich Noah auf der Arche betrunken hatte - an die guten Söhne, die sich von dem nackten alten Mann auf seinem Bett abgewendet hatten, und den bösen Sohn, der hingesehen hatte …
    Sanft legte er den Arm um sie, sodass Sue den ihren fortnehmen konnte. Helens unversehrtes Auge drehte sich zu ihm. Diesmal sprach sie seinen Namen deutlicher aus, sicherer, und als Ralph die Dankbarkeit in der nuschelnden Stimme hörte, war ihm zum Weinen zumute.
    »Sue - nehmen Sie das Baby. Bill hat keine Ahnung.«
    Sie gehorchte und nahm Nat sanft und geübt in die Arme. McGovern schenkte ihr ein dankbares Lächeln, und plötzlich merkte Ralph, was an seinem Äußeren nicht stimmte. McGovern trug seinen Panamahut nicht, der ebenso zu ihm zu gehören schien (jedenfalls im Sommer) wie die Geschwulst auf seinem Nasenansatz.
    »He, Mister, was ist denn passiert?«, fragte einer der Baseballjungs.
    »Nichts, das dich etwas angehen würde«, sagte Ralph.
    »Sieht aus, als hätte sie ein paar Runden mit Riddick Bowe hinter sich.«

    »Nee, Tyson«, sagte einer der anderen Baseballjungs, und dann lachten sie unvorstellbarerweise.
    »Verschwindet!«, schrie Ralph sie plötzlich wütend an. »Geht eure Zeitungen austragen! Kümmert euch um eure Angelegenheiten!«
    Sie schlurften ein paar Schritte zurück, aber keiner entfernte sich. Immerhin bekamen sie hier Blut zu sehen, und das ganz ohne Kinoleinwand.
    »Helen, kannst du gehen?«
    »Ja«, sagte sie. » Glaube fon.«
    Er führte sie vorsichtig um die offene Tür herum und ins Red Apple. Sie bewegte sich langsam und schlurfte von einem Fuß auf den anderen wie eine alte Frau. Der Geruch von Schweiß und verbrauchtem Adrenalin drang als saurer Gestank aus ihren Poren, und Ralph spürte, wie sich ihm wieder der Magen umdrehte. Es lag nicht an dem Geruch, wirklich nicht; es lag an seinem Bemühen, diese Helen mit der adretten und attraktiven Frau in Einklang zu bringen, mit der er erst gestern gesprochen hatte, als sie in ihren Blumenbeeten gearbeitet hatte.
    Plötzlich fiel Ralph noch etwas von gestern ein. Helen hatte blaue Shorts getragen, ziemlich weit oben abgeschnitten, und da waren ihm zwei Blutergüsse an ihren Beinen aufgefallen - ein großer, gelber Fleck oben am linken Oberschenkel und ein frischerer, dunkler an der rechten Wade.
    Er führte Helen zu dem kleinen Bürobereich hinter der Registrierkasse. Als er in den konvexen Überwachungsspiegel in der Ecke sah, erblickte er McGovern, der Sue die Tür aufhielt.
    »Schließ die Tür ab«, sagte er über die Schulter.

    »Herrgott, Ralph, ich darf nicht …«
    »Nur ein paar Minuten«, sagte Ralph. »Bitte.«
    »Nun … okay. Denke ich.«
    Ralph hörte das Klicken des Schlosses, als er Helen auf den Plastikkonturstuhl hinter dem unordentlichen Schreibtisch sinken ließ. Er griff zum Telefon und schlug auf die Taste 911. Aber bevor das Telefon am anderen Ende läuten konnte, wurde eine blutige Hand ausgestreckt und drückte auf den grauen Unterbrechungsknopf.
    »Gicht … Ral.« Sie schluckte mit offensichtlicher Mühe und versuchte es noch einmal. »Nicht.«
    »Doch«, sagte Ralph. »Ich werde anrufen.«
    Jetzt sah er Angst in ihrem guten Auge, das nichts Stumpfes mehr an sich hatte.
    »Nein«, sagte sie. »Bitte, Ralph. Nicht.« Sie sah an ihm vorbei und streckte wieder die Hände aus. Als Ralph den unterwürfigen, flehenden Ausdruck in ihrem Gesicht sah, zuckte er vor Bestürzung zusammen.
    »Ralph?«, fragte Sue. »Sie will das Baby«
    »Ich weiß. Nur zu.«
    Sue gab Natalie an Helen, und Ralph sah zu, wie das Baby - das inzwischen etwas über ein Jahr alt sein musste, da war er sich ziemlich sicher - die Arme um den Hals seiner Mutter schlang und das Gesicht an ihre Schulter drückte. Helen küsste Nats Kopf. Es tat ihr eindeutig weh, aber sie machte es noch einmal. Und noch einmal. Ralph schaute auf sie hinunter und konnte geronnenes Blut wie Schmutz in den feinen Linien auf Helens Nacken erkennen. Als er das sah, pochte wieder die Wut in ihm.
    »Es war Ed, richtig?«, fragte er. Natürlich war er es gewesen - man hinderte

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