Schlaflos - Insomnia
und strich sich nervös über die Lippen. »Ich weiß nicht. Ich mag Helen sehr, und ich will das Richtige tun - das weißt
du -, aber bei so etwas … wer weiß da schon, was richtig ist?«
Ralph fiel plötzlich ein, was Carolyn immer gesagt hatte, wenn er sich über eine Aufgabe beschwerte, die er nicht ausführen, eine Besorgung, die er nicht machen oder einen Pflichtbesuch, den er nicht erledigen wollte: Es ist ein langer Weg zurück ins Paradies, Liebes, also hör auf, dich über Kleinigkeiten aufzuregen.
Er griff wieder zum Telefon, und als Helen diesmal nach seiner Hand griff, stieß er sie weg.
»Sie haben das Polizeirevier Derry angerufen«, sagte eine Stimme vom Band. Drücken Sie eins für Notfälle. Drücken Sie zwei für Polizeiberatung. Drücken Sie drei für die Information.«
Ralph, dem plötzlich klar wurde, dass er alle drei Nummern benötigte, zögerte einen Moment und drückte dann zwei. Das Telefon summte, und eine Frauenstimme sagte: »Hier ist der Polizeinotruf 911, wie kann ich Ihnen helfen?«
Er holte tief Luft und sagte: »Hier spricht Ralph Roberts. Ich befinde mich im Red Apple Laden in der Harris Avenue mit einer Nachbarin aus der Straße. Ihr Name ist Helen Deepneau. Sie ist ziemlich übel zusammengeschlagen worden.« Er legte Helen behutsam die Hand ans Gesicht, worauf sie die Stirn an seine Seite drückte. Er konnte ihre warme Haut durch das Hemd spüren. »Bitte kommen Sie so schnell Sie können.«
Er legte den Hörer auf, dann kauerte er sich neben Helen. Natalie sah ihn, krähte vor Freude und streckte die Hand aus, um ihn freundschaftlich in die Nase zu kneifen. Ralph lächelte, küsste ihre winzige Handfläche und sah Helen ins Gesicht.
»Es tut mir leid, Helen«, sagte er, »aber es musste sein. Ich konnte es nicht lassen. Das verstehst du doch? Ich konnte es nicht lassen.«
»Ich verfte gar nichs mehr!«, sagte sie. Ihre Nase hatte aufgehört zu bluten, aber als sie die Hand hob, um darüberzustreichen, zuckte sie unter der eigenen Berührung zusammen.
»Helen, warum hat er das getan? Warum hat Ed dich so verprügelt?« Er musste an die anderen Blutergüsse denken - möglicherweise war es häufiger vorgekommen. Falls es häufiger vorgekommen war, war es ihm bis heute nicht aufgefallen. Wegen Carolyns Tod. Und wegen der Schlaflosigkeit, die danach gekommen war. In jedem Fall glaubte er nicht, dass Ed heute zum ersten Mal Hand an seine Frau gelegt hatte. Heute mochte die drastische Eskalation stattgefunden haben, aber das erste Mal war es nicht. Er konnte den Gedanken begreifen und seine zwingende Logik einsehen, aber er konnte sich trotzdem nicht vorstellen, dass Ed so etwas tat . Er konnte Eds rasches Grinsen sehen, seine lebhaften Augen, wie er beim Sprechen rastlos die Hände bewegte … aber er konnte sich nicht vorstellen, wie Ed seine Frau mit diesen Händen krankenhausreif schlug, so sehr er es auch versuchte.
Dann kam eine Erinnerung an die Oberfläche zurück, die Erinnerung daran, wie Ed steifbeinig auf den Mann zuging, der den blauen Pick-up gefahren hatte - ein Ford Ranger war es gewesen, oder nicht? -, und dem schwergewichtigen Mann dann mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen hatte. Als er sich daran erinnerte, war es, als hätte er die Tür von Fibber McGees Schrank in dieser alten Rundfunksendung aufgemacht, aber heraus kam
kein Erdrutsch von altem, aufgehobenem Plunder, sondern eine Folge lebhafter Bilder von diesem Tag im vergangenen Juli. Die Gewitterwolken über dem Flughafen. Eds Arm, der zum Fenster des Datsuns herausragte und auf und ab winkte, als könnte er damit das Tor veranlassen, sich schneller zu öffnen. Der Schal mit den chinesischen Symbolen darauf.
Hey, hey, Susan Day, how many kids did you kill today?, dachte Ralph, aber es war Eds Stimme, die er hörte, und er wusste ziemlich genau, was Helen sagen würde, noch bevor sie den Mund aufmachte.
»So dumm«, sagte sie matt. »Er hat mich geschlagen, weil ich eine Petition unterschrieben habe - das war alles. Die Listen gehen in der ganzen Stadt herum. Jemand hat sie mir vors Gesicht gehalten, als ich vorgestern in den Supermarkt gegangen bin. Er sagte etwas von zugunsten für WomanCare, und das schien mir völlig in Ordnung zu sein. Außerdem war das Baby unruhig, darum habe ich eben...«
»Da hast du eben unterschrieben«, sagte Ralph leise.
Sie nickte und fing wieder an zu weinen.
»Was für eine Petition?«, fragte McGovern.
»Susan Day nach Derry zu holen«, antwortete
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