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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wir so unhöflich unterbrochen wurden?«
    Jetzt schien es eine unglaublich schlechte Idee zu sein, McGovern von den Auren zu erzählen, und er konnte sich um nichts auf der Welt mehr vorstellen, wieso er überhaupt daran gedacht hatte. Die Schlaflosigkeit - das war selbstverständlich die einzige Antwort. Sie hatte neben seinem Kurzzeitgedächtnis und seiner Sinneswahrnehmung
auch seinen gesunden Menschenverstand beeinträchtigt.
    »Dass ich heute Morgen etwas mit der Post bekommen habe«, sagte Ralph. »Ich dachte mir, dass dich das vielleicht ein wenig aufmuntert.« Er gab McGovern Helens Postkarte, der sie las und dann noch einmal las. Beim zweiten Mal verzog sich sein langes Pferdegesicht zu einem breiten Grinsen. Als Ralph die Mischung aus Erleichterung und aufrichtiger Freude in diesem Ausdruck sah, verzieh er McGovern seine selbstgefällige Art augenblicklich. Man vergaß allzu leicht, dass Bill nicht nur schwülstig, sondern auch großzügig sein konnte.
    »Das ist ja toll, nicht wahr? Ein Job!«
    »Das ist es. Möchtest du es mit einem Mittagessen feiern? Zwei Häuser vom Rite Aid entfernt gibt es ein hübsches kleines Lokal - Day Break, Sun Down heißt es. Vielleicht ein bisschen zu grün, aber…«
    »Danke, aber ich habe Bobs Nichte versprochen, dass ich vorbeikommen und eine Weile bei ihm sitzen bleiben würde. Selbstverständlich hat er nicht die geringste Ahnung, wer ich bin, aber das spielt keine Rolle, weil ich weiß, wer er ist. Capisce? «
    »Jap«, sagte Ralph. »Ein andermal dann, ja?«
    »So ist es.« McGovern las die Postkarte noch einmal, immer noch grinsend. »Das ist die Wucht - die absolute Wucht in Tüten!«
    Ralph musste über diesen reizenden, altmodischen Ausdruck lachen. »Fand ich auch.«
    »Ich hätte fünf Piepen mit dir gewettet, dass sie wieder in die Ehe mit diesem Verstörten zurückkehren und das Baby mit seinem verdammten Wagen vor sich herschieben
würde … aber ich hätte das Geld mit Freuden verloren. Ich nehme an, das klingt verrückt.«
    »Ein wenig«, sagte Ralph, aber nur weil er wusste, dass McGovern das zu hören erwartete. In Wirklichkeit dachte er, dass Bill McGovern gerade seinen Charakter und sein Weltbild treffender zusammengefasst hatte, als Ralph es selbst je vermocht hätte.
    »Schön zu wissen, dass es jemandem besser statt schlechter geht, was?«
    »Worauf du dich verlassen kannst.«
    »Hat Lois das schon gesehen?«
    Ralph schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht zu Hause. Ich zeige ihr die Karte aber, wenn ich sie sehe.«
    »Tu das. Schläfst du besser, Ralph?«
    »Es geht so, denke ich.«
    »Gut. Du siehst ein bisschen besser aus. Ein bisschen kräftiger. Wir dürfen nicht aufgeben, Ralph, nur darauf kommt es an. Hab ich recht?«
    »Ich schätze schon«, sagte Ralph und seufzte. »Ich schätze schon, jedenfalls damit.«

3
    Zwei Tage später saß Ralph an seinem Küchentisch, aß eine Schüssel Kleieflocken, die er eigentlich gar nicht wollte (von denen er aber auf eine vage Weise vermutete, dass sie gut für ihn waren), und las die erste Seite der Derry News . Er hatte den Leitartikel hastig überflogen, aber sein Blick fiel immer wieder auf das Foto; es schien sämtliche negativen Gefühle auszudrücken, mit denen er den vergangenen
Monat gelebt hatte, ohne sie in irgendeiner Form zu erklären.
    Ralph fand, dass die Schlagzeile über der Fotografie - DEMONSTRATION VOR WOMANCARE ENTFACHT GEWALT - keineswegs den anschließenden Artikel reflektierte, aber das überraschte ihn nicht; er las die News nun schon seit Jahren und hatte sich an ihre Voreingenommenheit gewöhnt, zu der auch ein entschiedener Anti-Abtreibungs-Standpunkt gehörte. Dennoch hatte das Blatt sorgfältig darauf geachtet, sich im heutigen »Ts, ts, nun aber Schluss damit, Jungs« -Editorial von den Friends of Life zu distanzieren, und das überraschte Ralph nicht. Die Friends hatten sich auf dem Parkplatz zwischen WomanCare und dem Derry Home Hospital versammelt und auf eine Gruppe von zweihundert Abtreibungsbefürwortern gewartet, die vom Bürgerzentrum durch die Stadt marschiert waren. Die meisten Protestierenden trugen Schilder mit dem Bild von Susan Day und dem Motto FREIE ENTSCHEIDUNG STATT ANGST.
    Es war die Absicht der Demonstranten gewesen, unterwegs Anhänger mitzureißen, wie ein Schneeball, der bergab rollt. Bei WomanCare sollte eine kurze Kundgebung stattfinden - um die Leute auf den bevorstehenden Besuch von Susan Day einzustimmen -, anschließend sollten Erfrischungen gereicht

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