Schlaflos - Insomnia
er sich ein wenig. Die obere Hälfte der Tür zur vorderen Veranda bestand aus dicken Glasscheiben. Sie verzerrten den Blick, aber nicht sehr, und daher konnte Ralph sehen, dass es sich bei seinen beiden Besuchern um Frauen handelte. Er erriet sofort, wer eine von ihnen sein musste, daher hastete er den Rest des Wegs nach unten und ließ dabei eine Hand leicht auf dem Geländer hinabgleiten. Er riss die Tür auf, und da stand Helen Deepneau mit einer Tragetasche (BABY-ERSTE-HILFE-STATION war auf eine Seite aufgedruckt) über der einen Schulter; über die andere sah Natalie,
deren Augen so sehr glänzten wie die einer Zeichentrickmaus. Helen lächelte hoffnungsvoll und ein wenig nervös.
Plötzlich strahlte Natalie über das ganze Gesicht, hüpfte in dem Babytragegurt von Papoose, den Helen trug, auf und ab und winkte mit den Armen aufgeregt in Ralphs Richtung.
Sie erinnert sich an mich, dachte Ralph. Was sagt man dazu. Und als er den Arm ausstreckte und eine der winkenden Hände seinen rechten Zeigefinger ergreifen ließ, schossen ihm Tränen in die Augen.
»Ralph?«, fragte Helen. »Alles in Ordnung?«
Er lächelte, nickte, kam näher und umarmte sie. Er spürte, wie ihm Helen die Arme um den Hals legte. Einen Augenblick machte ihn der Duft ihres Parfüms schwindlig, in den sich der Milchgeruch des gesunden Babys mischte, dann gab sie ihm einen überwältigenden Schmatz aufs Ohr und ließ ihn los.
»Es ist alles in Ordnung, oder nicht?«, fragte sie. Auch in ihren Augen standen Tränen, aber Ralph bemerkte sie kaum; er war zu sehr mit seiner Inventur beschäftigt, da er sicherstellen wollte, dass keine Spuren der Prügel zurückgeblieben waren. Soweit er erkennen konnte, waren keine mehr zu sehen. Sie sah makellos aus.
»Im Augenblick mehr als in den letzten Wochen«, sagte er. »Du bist so ein wunderschöner Anblick für meine alten Augen. Und du auch, Nat.« Er küsste die kleine, pummelige Hand, die noch seinen Finger hielt, und war nicht völlig überrascht, als er den geisterhaften grau-blauen Lippenabdruck sah, den sein Mund hinterlassen hatte. Er verblasste fast, ehe Ralph ihn richtig zur Kenntnis genommen
hatte, und er umarmte Helen noch einmal - in erster Linie, um sicherzustellen, dass sie wirklich da war.
»Lieber Ralph«, murmelte sie ihm ins Ohr. »Lieber, süßer Ralph.«
Er spürte eine Regung in den Lenden, die offenbar durch das Zusammenwirken ihres Parfüms und des sanften Kitzels ihres Atems an seinem Ohr hervorgerufen wurde … und dann fiel ihm eine andere Stimme ein, die ihm ins Ohr gesprochen hatte. Eds Stimme. Ich habe wegen deinem Mund angerufen, Ralph. Er versucht, dich in Schwierigkeiten zu bringen.
Ralph ließ sie los und hielt sie lächelnd auf Armeslänge von sich. »Du bist eine Augenweide, Helen. Ich will verdammt sein, wenn es nicht so ist.«
»Du auch. Ich möchte, dass du eine Freundin von mir kennenlernst. Ralph Roberts, Gretchen Tillbury. Gretchen, Ralph.«
Ralph drehte sich zu der anderen Frau um und sah sie zum ersten Mal genau an, während er ihre schlanke weiße Hand behutsam in seine große, knotige nahm. Sie war der Typ Frau, bei der ein Mann (auch einer, der die sechzig schon hinter sich gelassen hatte) gerade stehen und den Bauch einziehen wollte. Sie war groß, etwa eins achtzig, und sie war blond, aber das allein war es nicht. Da war noch etwas anderes - etwas wie ein Geruch, eine Vibration oder
(eine Aura)
ja, genau, wie eine Aura. Sie war schlicht und einfach eine Frau, die man nicht übersehen konnte, die einem nicht aus dem Kopf ging, eine Frau, bei deren Anblick man automatisch ins Spekulieren geriet.
Ralph erinnerte sich, wie Helen ihm erzählt hatte, dass Gretchens Mann ihr den Oberschenkel mit einem Küchenmesser aufgeschlitzt und sie liegen gelassen hatte, damit sie verblutete. Er fragte sich, wie ein Mann so etwas tun konnte; wie ein Mann ein solches Geschöpf überhaupt mit etwas anderem als Ehrfurcht behandeln konnte.
Und möglicherweise ein wenig Lust, nachdem er das »Sie wandelt in Schönheit wie die Nacht« -Stadium hinter sich gelassen hatte. Und übrigens, Ralph, es wäre vielleicht der geeignete Zeitpunkt, deine Augäpfel in die Höhlen zurückzukurbeln.
»Freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen«, sagte er und ließ ihre Hand los. »Helen hat mir erzählt, dass Sie sie im Krankenhaus besucht haben. Danke für Ihre Hilfe.«
»Es war ein Vergnügen, Helen zu helfen«, sagte Gretchen und schenkte ihm ein atemberaubendes
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