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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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einen sich
bewegenden, gelben Fleck vor sich auftauchen sah, dann bin ich
Frankensteins Monster.     
    Ein Doppeldeckerbus
hielt an der Ecke. Er sprang in den Bus und lächelte den
Schaffner an, während er nach Kleingeld kramte und versuchte,
nicht zu sehr zu keuchen. Als die Glocke ertönte und der Bus
sich in Bewegung setzte, durchströmte ihn köstliche
Erleichterung, aber sie hielt nur einen Herzschlag lang an. Wegen
des dichten Schneetreibens kam der Bus langsamer voran als die
Fußgänger. Der Chor aus »Haltet den Dieb!«
wurde lauter. Der Schaffner warf ihm einen kurzen Blick zu und
versperrte ihm mit einem Schritt die Tür. Kraus rannte die
schmale Wendeltreppe hoch. Das offene Oberdeck war verschneit. Die
schweren Schritte des Schaffners trampelten hinter ihm die Treppe
hoch. Der Kerl muss mindestens doppelt so groß sein wie ich,
dachte Kraus, während er einen Blick über die Seite des
Busses warf. Die Rotte der Braunhemden hatte den Bus fast erreicht.
»Papa!« Er hätte schwören können, seine
Söhne rufen zu hören. Wenn er nur bei ihnen sein
könnte. Der riesige Schaffner näherte sich ihm. Atem
dampfte aus seiner Nase. Eine gelbe Straßenbahn fuhr in
entgegengesetzter Richtung an dem Bus vorbei. Gerade als ein
massiger Arm ihn packen wollte, sprang Kraus über das
Geländer.
    »Da!«,
hörte er Rufe. »Er ist entwischt!«
    Er landete auf dem
Rücken und hielt sich mit aller Kraft fest, als die
Straßenbahn schnell davonfuhr, um einige Ecken kurvte und in
die Königsstraße einbog. Sein Gesicht war vollkommen
schneebedeckt. Er hatte Angst, sich zu bewegen, und blieb liegen,
während er durch die zusammengekniffenen Lider die
Gebäude musterte, die an ihm vorbeizufliegen schienen, und die
blendenden elektrischen Blitze von der Oberleitung. Er betete
darum, unsichtbar zu sein, nicht zu fallen und keinen Stromschlag
zu bekommen. Allmählich registrierte er, dass die schrillen
Pfeifen verstummt waren. Er schüttelte sich den Schnee ab und
hob den Kopf. Die Leute waren viel zu sehr damit beschäftigt,
sicher durch den Schnee zu kommen, als dass sie Augen für ihn
gehabt hätten. So unauffällig wie möglich ließ
er sich auf die Straße hinab, klopfte den Schnee von seinem
Hut und mischte sich unter die Menschenmassen, die am Roten Rathaus
vorbeistapften. Mein Gott! Das war viel zu knapp gewesen! Und er
hatte auch noch Pläne vom Reichstag in seinem
Notizbuch!
    Am Alexanderplatz
verlor Kraus sich erleichtert in der Masse von verschneiten
Hüten und Schultern vor dem Kaufhaus Tietz. Seine Knochen
sagten ihm bei jedem Schritt: Für so was bist du zu alt,
Willi. Es wird Zeit, dich deinem Alter gemäß zu
benehmen, das hat auch Ava gesagt. Als er ein lauter werdendes
Dröhnen hinter sich hörte, drehte er sich um. Sein Hals
schmerzte. Drei Motorräder mit Beiwagen rasten über die
Königsstraße. Er versteifte sich unwillkürlich, als
er Mengele in dem ersten Beiwagen sah. Der Arzt stand aufrecht und
sah sich um. Wie das Pech es wollte, streifte der Blick seiner
schwarzen Augen den von Kraus. Der Spalt zwischen den Zähnen
erschien. »Haltet ihn! Er ist ein
Dieb!«    
    Kraus wurde klar, dass
ihm nur ein einziger Fluchtweg blieb: unter dem Markenzeichen, dem
Globus, hinweg durch die Drehtüren des Kaufhauses Tietz. Wie
vertraut ihm dieses riesige Foyer mit den klingelnden Aufzügen
und den lärmenden Kundenmassen war. Wie oft er hier
hereingekommen war, als Kind an der Hand der Mutter, als
Erwachsener, seine Frau und seine Kinder an den Händen. Und
wie oft er das Loblied seines Schwiegervaters über den
legendären, jüdischen Gründer des Kaufhauses
gehört hatte, Hermann Tietz. Wie alle 1904 über dessen
Pläne gelacht hatten, ein Einzelhandelsparadies ausgerechnet
am heruntergekommenen Alexanderplatz zu bauen. »›Ich
brauche keinen Standort‹«, wurde Max nie müde,
ihn zu zitieren. »›Ich mache den
Standort!‹« Und genau das hatte Hermann Tietz auch
gemacht. Es war das erfolgreichste Geschäft in ganz
Deutschland und das prachtvollste, innen wie außen. Gewaltige
Gewölbedecken, Marmorsäulen, Polstersofas, auf denen man
seine müden Füße ausruhen konnte, und polierte
Mahagonivitrinen, in denen zahllose Handelsgüter von bester
Qualität zu günstigen Preisen feilgeboten wurden. Berlin,
so drückte es die Werbung aus, wäre nicht Berlin ohne
Tietz.
    Kraus sah sofort, dass
wieder die Zeit der sogenannten Weißen Woche war. Das ganze
fünfstöckige Atrium war mit Bettwäsche in

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