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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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den Fall anzusetzen,
aber zwei von ihnen hatten bereits alle Hände voll zu tun, und
dem dritten traute er nicht. Der teiggesichtige Herbert Thurmann
war auf einem höchst zweifelhaften Beförderungsweg zu
seiner Einheit gestoßen. Kraus hatte ihn mehr als einmal
dabei erwischt, wie er in Unterlagen herumschnüffelte, die ihn
absolut nichts angingen. Zudem kursierten ständig
Gerüchte darüber, dass die Nazis versuchten, die Berliner
Polizei zu infiltrieren. Sollte das zutreffen, dann musste Thurmann
ein kleiner, faschistischer Maulwurf sein. Er hatte nicht vor, den
Mann auch nur in die Nähe seines Falls zu lassen.
    Und dann war da noch
Paula. Würde er ihr jemals wirklich vertrauen können? Was
zum Teufel sollte er überhaupt mit diesem Kind in ihrem
pinkfarbenen Abendkleid und dem schwarzen Cape anstellen? Letzte
Nacht hatte er versucht sich auszumalen, wie er sie seinen
Söhnen und seinen Schwiegereltern vorstellte. Es war
lächerlich. Die ganze Sache war lächerlich. Vollkommen
irrational. Glaubte er wirklich, dass er sie bekehren konnte, um
Himmels willen?
    Eine
Stiefelhure?
    Der
sprichwörtliche Scheideweg kam am Spandauer Damm, hinter den
Barockgärten des Charlottenburger Schlosses. Links von ihm lag
die Brücke über die Spree, die nach Berlin-Nord
führte, wo sie wohnte. Rechts führte die
Kaiser-Friedrich-Straße in den Westen Berlins, wo seine
Wohnung lag.
    »Also, wohin
geht es, Liebchen?«, sprach sie seine Gedanken aus.
»Ich nehme es dir nicht übel, wenn du mich nach Hause
bringst. Ich habe niemals etwas erwartet. Natürlich werde ich
dich vermissen. Aber was soll’s? Wir können uns ja
grüßen, wenn wir uns auf der Tauentzien begegnen,
hm?«
    Er bog nach rechts ab,
unfähig, sie allein zu lassen. Es war ihm egal, ob es
vernünftig war oder nicht.
    Als er weiterfuhr,
spürte er, wie ihre Hand durch seine Armbeuge glitt und sie
den Kopf an seine Schulter legte. »Oh, Kraus, du bist so ein
lieber Junge!«
    »Weißt du,
was ich heute Nacht wirklich gern tun würde?« Paula
gähnte, als sie seine Wohnung erreichten. Er erwartete, sie
würde vorschlagen, früh ins Bett zu gehen und
auszuschlafen. Aber nein. Sie wollte ausgehen. Wie es normale Leute
an einem Samstagabend taten. »Ja, genau wie ganz normale
Leute.« Die Idee schien sie ebenso zu begeistern, wie eine
wunderschöne Puppe ein Kind erfreut hätte. »Wir
machen uns frisch, ziehen uns um und gehen in einen Film, und
anschließend essen wir zu Abend. Klingt das nicht himmlisch?
So wie ein ganz normales Pärchen.«
    Sich frisch machen,
erfuhr Kraus, bedeutete für Paula, eine endlos lange Zeit
allein mit ihrer Handtasche im Bad zu verbringen. In der
Zwischenzeit telefonierte er mit Paris. Seine Familie war soeben an
der Gare du Nord angekommen, informierte ihn Tante Hedda, und sie
waren gerade mit dem Taxi unterwegs zu ihr. Alles war
glattgegangen.
    »Bestell ihnen,
dass ich sie liebe«, sagte Kraus. »Ich rufe morgen
wieder an, wenn sie angekommen
sind.«    
    »Juchhu! Sieh
dir nur die Weihnachtsbeleuchtung an!«, rief Paula, als sie
Arm in Arm über den Ku’damm schlenderten. Der ganze
Boulevard schien zu leuchten. Neonlichter blitzten, Schaufenster
funkelten. Reihen von hohen, leuchtenden Reklamesäulen
strahlten zahllose Versprechungen aus. Um den Breitscheidplatz
herum wetteiferten Kinos um ihre Gäste. Aus Lautsprechern
quäkten die Titel der Filme und die Namen der Filmstars. Der
Geruch frisch gerösteter Kastanien erfüllte die Luft.
Nicht einmal die Braunhemden, die mit ihren Spendendosen
klapperten, schienen die Festtagsstimmung dämpfen zu
können. Am neuen Universum, einem langen, schlanken und
hochmodernen Gebäude, das derselbe Mendelsohn entworfen hatte,
der auch Fritz’ Haus geplant hatte, prangte auf einem hohen,
bunten Stoffplakat ein Bild des großen britischen
Schauspielers Charles Laughton als Nero, der wie verrückt auf
einer Leier spielte, während Rom brannte. Es war eine Werbung
für Cecil B. DeMilles neuesten, spektakulären
Film: Im
Zeichen des Kreuzes.
    »Oh, schauen wir
uns den an.« Paula zog an seinem Arm. »Claudette
Colbert spielt darin mit.«
    Nur Hollywood und dort
nur DeMille hatten einen solchen Film machen können. Die
Leinwand quoll förmlich über von Grausamkeiten, von
Lastern und Erniedrigungen. Christen, alte Männer, Frauen und
Säuglinge wurden den Tigern zum Fraß vorgeworfen. Sie
wurden gekreuzigt und unter dem Jubel Tausender verbrannt.
Männer kämpften gegen Bullen, Frauen gegen

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