Schlafwandler
kam mit einem riesigen Modell von einem
Fokker-Dreifachdecker zurück, den der Rote Baron geflogen
hatte.
»Kannst du das
Erich geben, Onkel Willi?« Er hob es zitternd hoch.
»Ich kenne niemanden, der sich sonst ordentlich darum
kümmern würde.«
»Ja,
natürlich, Gregor. Erich wird begeistert
sein.«
Kraus’ Herz
drohte zu zerspringen. Er wollte ihnen gerne sagen, dass sie nicht
gehen sollten. Er wollte ihnen sagen, dass sie all ihre Wurzeln
umsonst herausrissen, wollte Ihnen versichern, dass die Nazis
Deutschland niemals regieren würden. Und dennoch … wie
froh er war, dass seine Söhne in Paris waren.
»Kurt, kann ich
dich einen Moment sprechen?«
Sie gingen in eines
der leeren Schlafzimmer. Natürlich dauerte es mehr als nur
einen Moment.
Käthe wurde
ungeduldig. »Ist alles in Ordnung da drin? Kurt … wir
haben keine Zeit zu verlieren.«
»Eine Minute,
Liebes. Es ist wichtig.«
Kurt hatte seine Augen
hinter den Brillengläsern vor Ungläubigkeit weit
aufgerissen. »Weißt du, Willi, als Psychiater habe ich
im Laufe der Jahre mehr als genug Horrorgeschichten gehört
… aber das hier kann ich wirklich kaum glauben. Das gesamte
Wadenbein wurde in das andere Bein
transplantiert?«
»Ich kann dir
den Autopsiebericht zeigen, wenn du willst.«
»Natürlich
würde ich dir helfen … aber du hast ja Käthe
selbst gehört. Unser Zug fährt um zwei.«
»Du weißt,
dass ich nicht fragen würde, wenn es nicht um Leben und Tod
ginge. Gott weiß, wie viele Menschen sie da draußen
festhalten, ganz zu schweigen davon, was sie ihnen
antun.«
»Und was genau
soll ich tun?«
»Hypnotisiere
den Hundesohn. Bring ihn zum
Reden.«
Kurt lächelte.
»Nichts täte ich lieber, als diesen Scharlatan unter
meine Fuchtel zu bekommen.«
»Du musst es
gegen seinen Willen tun. Er wird ganz bestimmt nicht
kooperieren.«
»Ich könnte
selbst Hitler gegen seinen Willen hypnotisieren.«
»Wirklich?
Tatsächlich? Also machst du es?«
Kurt putzte seine
Brille und setzte sie dann seufzend wieder auf die Nase.
Käthe griff sich
an den Kopf, als wäre das hier wirklich der Tropfen, der das
Fass zum Überlaufen brachte.
»Wie kannst du
in einem solchen Moment weggehen? Wo alles auf dem Spiel steht?
Unser ganzes Leben …?«
»Hör zu,
Käthe … Einige Dinge sind sogar wichtiger als die
eigene Familie. Ich muss das hier tun. Willi hat mir versprochen,
mich bis um zwei zum Bahnhof zu bringen. Du kannst mit den Kindern
ohne Probleme mit dem Taxi dorthin fahren. Für alles andere
ist gesorgt. Und sollte ich aus irgendeinem Grund den Zug verpassen
…«
»Das wagst du
nicht!«
»Wenn doch
… nehme ich einen späteren Zug und treffe dich in
Bremerhaven.«
»Wilhelm Kraus
…«, Käthe warf ihm einen rachsüchtigen Blick
zu, »ich schwöre dir, dass ich dir das nie verzeihen
werde.«
Als Kurt in den BMW
stieg, das rote Flugzeugmodell seines Sohnes in den Armen, drehte
er sich grinsend zu Kraus um. »Weißt du, Cousin
… ich stehe für immer in deiner Schuld. Der Moment mag
zwar ein bisschen unpassend gewesen sein, aber auf diese Chance
habe ich mein ganzes Leben lang gewartet.«
Ja, und es wäre
besser, wenn du die Chance beim Schopf packst, dachte Kraus und gab
Gas.
EINUNDZWANZIG
»Dieser Kerl ist
Ihr Verhörexperte?« Der Große Gustave sah den
kahlköpfigen, bebrillten Mann in seiner Zelle höhnisch
an. »Die Polizei von Berlin muss verzweifelter sein, als ich
dachte.«
Kraus lächelte
gezwungen. »Wie denn – sieht er nicht brutal genug aus?
Kommen Sie, Herr Spanknobel. Sie glauben doch nicht, dass wir
vorhaben, Sie zu misshandeln?«
Gustave sank auf der
Pritsche zusammen und drückte sein Cape an seine
Brust.
Kurt beugte sich vor
und betrachtete ihn. »Da wir zusammenarbeiten müssen,
Sie und ich«, erklärte er mit einem mitfühlenden
Unterton, »können wir uns doch auch entspannen, nicht
wahr? Immerhin könnte das Ganze eine Weile dauern.« Er
richtete sich auf und tätschelte Gustaves Schulter.
»Halten Sie es nicht für weit vernünftiger und
angenehmer, wenn wir beide uns einfach nur …
entspannen?«
»Ich will mich
nicht entspannen. Ich will hier raus!«
»Aber
natürlich.« Kurt setzte seine Brille ab und reinigte die
Gläser. »Wer will schon gern im Gefängnis bleiben,
Gustave. Ich darf Sie doch so nennen?« Er setzte seine Brille
wieder auf. »Da es allerdings keine Chance gibt, dass Sie
hier herauskommen, bevor wir die Informationen haben, die wir
brauchen …«, er stellte einen Fuß auf den
Weitere Kostenlose Bücher