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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Schritte
hallten auf dem Marmor, als er das Museum verließ. Es war
Nacht geworden. Die unangenehm feuchte Kälte drang durch
seinen Mantel. Er hatte bereits seit einiger Zeit geahnt, dass man
ihn hereinlegen wollte, aber das Ausmaß dieser Falle
hätte er sich niemals vorstellen können. Er blickte nach
oben, suchte den Mond, sah jedoch nur dunklen Himmel.
    Er hatte sich noch nie
so allein gefühlt.
    Auf der
Fußgängerbrücke über den Kupfergraben wurde er
von der wahnsinnigen Ironie dieser ganzen Angelegenheit
überwältigt. Ernst Röhm hatte ihm, ohne es zu ahnen,
das Leben gerettet. Himmler und Heydrich hatten zu viel Angst, sich
einen Mann zum Feind zu machen, der eine halbe Million Braunhemden
befehligte. Also hatten sie sich einfach Meckels entledigt. Nur,
wie lange würde dieser Schutz bestehen?
    Als er über den
windgepeitschten Bürgersteig der Georgenstraße ging,
konnte er sich nur an eine Gewissheit halten: Seine Karriere bei
der Berliner Polizei war zu Ende. Diese geheimnisvolle Expedition,
auf die man ihn geschickt hatte – die Rettung der
verschwundenen Prinzessin –, war sein Gang zum Metzger
gewesen. Horthstaler hatte ihm das Bild mit seiner Zigarre
verdeutlicht. Sie wollten den jüdischen Jüngling
loswerden. Und das würden sie auch schaffen. So oder
so.
    Es sei denn

    Es sei denn, es
gelänge ihm, Sachsenhausen hochzunehmen. Dann würde in
ganz Deutschland über den Fall geschrieben werden. Die Leute
würden ihre Meinung ändern. Frau Meckel war ein gutes
Beispiel. Jedenfalls – er zog den Hut gegen den scharfen Wind
tiefer in die Stirn – hatte er jetzt die Chance, diesen
ganzen, verkommenen Haufen einzufangen. Thorrablot. Allein bei dem
Namen überlief es ihn kalt. Aber zuerst musste er
Sachsenhausen finden. Er konnte sich nicht mit dem einen
begnügen und das andere ignorieren. Von dort würden
weiter Signale gesendet, und die Seuche würde überleben.
Das Ganze musste gleichzeitig ausgebrannt werden.
    Nur hatte er keine
Ahnung, wann Vollmond war.
    Auf der anderen
Straßenseite befand sich ein Buchladen. Ein älterer Mann
in einer wollenen Weste war im Begriff, das Gitter vor der Tür
herunterzulassen. Kraus hielt ihn auf. »Mein Herr,
könnte ich noch kurz hineingehen und einen Blick auf einen
Kalender werfen? Ich muss wissen, wann der nächste Vollmond
erscheint. Es ist ungeheuer wichtig.«
    Der alte Mann
versteifte sich verächtlich. »So, wie sich die Menschen
heutzutage an die Sterne klammern, könnte man glauben, es
hätte nie eine Aufklärung gegeben.«
    Kraus fehlte die Kraft
für eine philosophische Debatte. »Es geht um
Polizeiarbeit.« Er zückte seine Dienstmarke.
    »Na, dann ist
das Zeitalter der Vernunft wirklich gestorben«, grummelte der
Mann. »Wenn jetzt schon die Polizei Rat in den Sternen
sucht.«
    Vielleicht hat er
recht, dachte Kraus.
    Aber ganz gleich,
welches Zeitalter gerade herrschte, eine Kripomarke erfüllte
nach wie vor ihren Zweck. Er fand das Datum schnell
heraus.
    Aber es war
unmöglich! Erst am 24.? Noch drei ganze Wochen? So lange
konnte er nicht warten. Paula konnte nicht so lange warten. Und
dennoch … welche andere Möglichkeit hatte er?
Thorrablot war die einzige Nacht, in der sie alle zusammenkamen.
Herr im Himmel!
    Er wickelte den Schal
fester um seinen Hals und setzte sich mürrisch in Richtung
Friedrichstraße in Bewegung. Die Lichter der Bahnstation
direkt vor ihm schienen ihm etwas zuzurufen.
    Er verstand sie.
Paulas Mutter!, riefen sie.
    Die Armut stieg ihm in
die Nase, als er das Viertel mit den alten Mietshäusern
erreichte. Leere Augen starrten ihm durch gesprungene
Fensterscheiben nach. Schmutzige Kinder lungerten im Hausflur
herum. Paulas Mutter machte ihm die Tür auf, aber sie konnte
sich kaum auf den Beinen halten. Ihr Haar war vollkommen zerzaust,
die Augen hatte sie halb geschlossen. Und der Gestank von billigem
Gin umhüllte sie wie eine hastig übergeworfene
Robe.
    »Frau
Hoffmeyer.« Sein Magen brannte. Wie sagte man einer Mutter,
dass ihre Tochter verschwunden war? Und dass man es selbst
verschuldet hatte? »Ich bin Kriminalinspektor Kraus. Ich muss
kurz mit Ihnen reden … über Paula.«
    »Paula?«
Ihre Stimme schlug ihm wie Säure ins Gesicht. So harsch, so
beißend. »Sie kommen ein bisschen spät,
Freundchen!«
    »Wie
bitte?«
    »Sie waren schon
da. Ich weiß alles.«
    »Wer war
da?«
    Sie starrte ihn an,
als wäre er ein Vollidiot. »Ihr. Die
Schupos.«
    Die Schutzpolizei?
»Ich bin bei

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