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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Arbeitslosen.
    Aber nicht alles war
verloren.
    Der deutsche
Reichskanzler stand noch auf seiner Seite. Und auch die
Wehrmacht.    
    »Halten Sie
Augen und Ohren offen. Und Ihre Nase, Gunther. Achten Sie auf
diesen Gestank.«
    Wenigstens brauchten
sie sich keine Sorgen mehr um Paula zu machen. Es war zwar ein
elender Trost, aber da sie jetzt tot war, konnte er sich Zeit
lassen und die Sache richtig angehen. Er hätte sie zwar lieber
wohlbehalten zurückbekommen, doch Gott allein wusste, wie
viele Seelen noch da draußen auf ihre Rettung warteten. Er
würde sie finden, und wenn er dafür sein Leben aufs Spiel
setzen musste.
    Oranienburg lag kaum
eine Stunde vom Polizeipräsidium entfernt. Es war eine
richtige Märchenstadt. Die Gebäude waren in leuchtenden
Farben gestrichen und hatten spitze, rote Schindeldächer.
Pferde trabten klappernd über die Pflastersteine und zogen
Karren mit Heu. Schwäne sonnten sich am Ufer. Der
Bürgermeister empfing sie im Rathaus, ganz offenkundig
begeistert, sie zu sehen. Sie hatten den weiten Weg von Berlin
Mitte bis hierher gemacht, die beiden Herren Kriminalinspektoren!
Was hatte sie ausgerechnet in sein ruhiges Städtchen
geführt?
    »Herr
Bürgermeister, Sie haben im letzten Juli eine Beschwerde beim
Gesundheitsministerium in der Königsburger Straße
eingereicht.«
    Der Bürgermeister
zog die Brauen zusammen und versuchte – sichtlich angestrengt
– sich daran zu erinnern. »Ach ja!« Es war wie
eine Offenbarung. »Dieser … fischige Gestank letzten
Sommer. Gott sei Dank ist das jetzt vorbei. Irgendwelche Idioten in
der Gerberei hatten ein Fass mit Gerbsäure umgekippt. Das Zeug
hat einen ganzen Schwarm Karpfen umgebracht. Können Sie sich
das vorstellen? Wir haben ihnen für diese Schlamperei hundert
Mark Strafe aufgebrummt. Und dazu noch die Kosten für die
Reinigung. Das machen sie nicht noch mal.«
    Ganz sicher nicht, das
wusste Kraus sehr gut. Denn die Gerberei war bereits 1930
geschlossen worden. »Es hat allerdings zahlreiche weitere
Beschwerden gegeben«, fuhr er fort. »Unter anderem noch
letzten Monat. Angeblich, weil es einen fauligen, scharfen Gestank
am Fluss gab, wie von verfaulendem Fleisch.«
    »Nun, an einem
Fluss gibt es natürlich immer merkwürdige
Gerüche.« Der Bürgermeister lächelte
unbarmherzig weiter. »Es könnte ein Dutzend Gründe
dafür geben. Gott weiß, dass wir hier eine richtige
Stinktierplage hatten.«
    Kraus begriff, dass er
hier nur seine Zeit verschwendete.
    Offenbar hatte jemand
dem Bürgermeister unmissverständlich klargemacht, dass es
in Oranienburg keine üblen Gerüche gab.
    »Nun, wenn es
kein Problem gibt …« Kraus steckte sein Notizbuch
weg.
    »Nein,
selbstverständlich nicht. Keinerlei
Probleme.«
    »Dann sind wir
völlig grundlos hier herausgefahren,
Gunther.«
    »Darf ich Ihnen
vielleicht vorschlagen«, der Bürgermeister deutete
strahlend aus dem Fenster, »dass Sie sich unser Barockschloss
ansehen. Es ist ein wirklich schönes Erlebnis, das versichere
ich Ihnen.«
    »Zweifellos.« Kraus
zwinkerte.
    Als sie draußen
waren, pfiff Gunther erstaunt. »Der Kerl ist falscher als ein
Glasauge.«
    Gut, Gunther,
schärfe deine Sinne! Verbessere sie immerzu!, dachte
Kraus.
    Er atmete tief ein.
Die Luft roch wundervoll. Es war der Geruch frischer Landluft, die
einem deutlich machte, wie sehr die Stadt stank. Paula hätte
diesen Ort sicher geliebt.
    Sie ließen die
Besichtung des Schlosses aus und suchten die sechs Adressen der
Leute auf, die sich ebenfalls über den Gestank beschwert
hatten. Wie aus einem Munde beteuerten sie, dass die lästigen
Gerüche vollkommen verschwunden waren. Sie befragten den
Friseur, den Blumenhändler, den Schneider. Offenbar waren die
Bürger Oranienburgs vollkommen einmütig der
Überzeugung, dass nirgendwo auf der Welt die Luft besser sei
als hier, an der lieblichen Havel.
    »In dieser Stadt
stinkt etwas ganz gewaltig«, bemerkte Gunter
schließlich. »Die Leute verhalten sich wie
Marionetten.«
    »Dann
müssen wir eben noch etwas herumschnüffeln und
herausfinden, wer an den Drähten zieht, nicht wahr,
Gunther?«
    Sie stiegen wieder in
ihren Opel und folgten der Straße am Fluss entlang nach
Süden. Laut ihrer Karte lag etwa anderthalb Kilometer weiter
im Wald die verlassene Gerberei. Und als sie die Kuppe eines
kleinen Hügels erreichten, sahen sie auch prompt ihren hohen
Schornstein. Kraus trat auf die Bremse.
    Der dichte, schwarze
Rauch, der aus dem Schlot quoll, war nicht zu
übersehen.
    »Von

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