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Schlafwandler

Schlafwandler

Titel: Schlafwandler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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weitersprechen. Ihr Flüstern nahm einen fast
ängstlichen Unterton an. »Sie haben Hermann ermordet,
weil er sich weigerte, bei ihren Verbrechen mitzumachen.«
Ihre Augen wurden glasig, kalt und blau wie die babylonischen
Fliesen. »Oscar Schumann hat den Mord befohlen, davon bin ich
überzeugt. Jedoch nur mit der Einwilligung von Heydrich und
Himmler.«
    »Welche
Verbrechen, Frau Meckel?«
    Sie verdrehte die
Augen zum Himmel, als flehte sie um göttliche Erlaubnis, es
nicht sagen zu müssen. »Gewisse …«, sie
zögerte kurz, »… Experimente.«
    Sie sah sich um, und
ihre Stimme wurde zu einem fieberhaften, fast hektischen Zischen.
»Die Sterilisationen haben vor einem halben Jahr angefangen,
und dann wollte Schumann mit Knochentransplantationen weitermachen.
Mein Mann war entsetzt. Er hat sofort seine Zusammenarbeit mit dem
Institut beendet. Sie ließen ihn in Ruhe, solange er den Mund
hielt. Immerhin war er ihr Mentor gewesen. Aber dann gelang es
diesem Mädchen, dieser Amerikanerin, zu entkommen
…« Ihr Blick versprühte Gift. »Und Schumann
versuchte, Hermann alles anzuhängen, dem einzigen anderen
Mann, der eine solche Operation hätte durchführen
können. Mit Heydrichs Hilfe inszenierte er diese ganze
Affäre mit der bulgarischen Prinzessin und sorgte dafür,
dass Sie auf den Fall angesetzt wurden. Sie, der berühmte
jüdische Inspektor, der dazu gebracht wurde, den
Sündenbock, meinen armen Hermann, zu jagen. Am Ende sollte
dieser Witz auf Ihre Kosten gehen. Die Prinzessin, müssen Sie
wissen … nun, lassen Sie mich offen sprechen, Inspektor. Sie
ist eine von ihnen. Fragen Sie mich nicht, wie, aber ich habe
zweifelsfrei in Erfahrung gebracht, dass diese bulgarische Mata
Hari bereits seit einiger Zeit gemütlich zu Hause im
königlichen Palast in Sofia sitzt!«
    Kraus hätte fast
laut gelacht. Horthstaler hatte ihm befohlen, die Prinzessin zu
finden, lebendig und wohlbehalten. Also, jetzt hatte er es
sozusagen schwarz auf weiß: Es war eine unverfrorene,
raffinierte Falle!
    Sie warf ihm einen
spröden, durchdringenden Blick zu. »Nicht mein Mann,
sondern Sie, Inspektor, sollten das Opferlamm sein.« Sie biss
die Zähne zusammen und verdrehte die Augen, als hätte sie
zu laut gesprochen. »Die ganze Angelegenheit sollte mit Ihnen
begraben werden! Niemand hat erwartet, dass Sie sich an von
Schleicher wenden würden – und erst recht nicht an
Röhm! Sie sind ein Mann mit, wie sagt man das in Ihrer
Sprache, Chuzpe ?«
    »Meine Sprache
ist Deutsch.«
    Aber sie schien ihn
nicht zu hören. »Unglücklicherweise –
für meinen Mann – erfuhr die SS, dass Röhm und Sie
bei einer Ermittlung zusammenarbeiteten …«
    Kraus hätte sich
fast dafür bei ihr entschuldigen wollen. »Frau
Meckel«, seine Stimme wurde schärfer, »Sie
müssen mir etwas sagen: Wo liegt Sachsenhausen, der Ort, an
dem diese grauenvollen Experimente durchgeführt
werden?«
    Sie riss die Augen auf
und sah ihn an, als wäre er verrückt geworden.
»Glauben Sie wirklich, ich hätte Zugang zu solchen
Informationen?« Ihr Flüstern bekam einen hysterischen
Unterton. »Ich habe diesen Namen noch nie gehört. Die
ganze Angelegenheit war immer ein streng gehütetes Geheimnis.
… Es nur zu erwähnen konnte einen das Leben
kosten!«    
    Kraus blickte zu dem
mächtigen Ischtar-Tor hinauf und fühlte sich –
vermutlich – wie die Babylonier, als sie sahen, wie die
gewaltigen Perserhorden sich ihnen näherten.
    »Wie kann man
sie aufhalten?« Die Frage war ebenso an Frau Meckel gerichtet
wie an alle anderen Mächte der Gerechtigkeit, die im Universum
existierten.
    Ihre prallen, roten
Wangen glühten, und ihre Augen wurden zu glühenden,
schmalen Schlitzen. »Das ist nicht einfach.« Ihr
Flüstern wurde düster. »Es sei denn, Sie glauben,
Sie könnten es mit der SS aufnehmen. Aber es gibt eine Nacht,
in der sie alle zusammenkommen. Alle aus dem Institut. Thorra-blot.
Thor-Blut. Das Fest des Asengottes Thor.« Sie sah seine
Miene. »Ich weiß, wie lächerlich Ihnen das
vorkommen muss, Inspektor, aber ich möchte Sie daran erinnern,
dass diese Männer wirklich … Heiden
sind.«
    Eine Vision schien vor
ihr Gestalt anzunehmen. »Es gibt eine Gaststätte in
Spandau.« Sie hob eine ihrer blonden Brauen. »Direkt
gegenüber der S-Bahn-Station.« Ihre Mundwinkel zuckten.
»In der Nacht des Januarvollmondes«, sie drehte sich zu
ihm herum, und ihre Miene glühte vor Rachsucht, »finden
Sie alle dort, ohne Ausnahme.«

DREIUNDZWANZIG
    Kraus’

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