Schlamm, Schweiß und Tränen
herzerfrischend darüber lachen konnte, wie bescheuert einer sein muss, der die gesammelten Werke von Shakespeare einen
Berg hinaufschleppt.
Ich ahnte schon, dass dieses Gefühl mich ganz gewaltig von meinen Trainingsambitionen ablenken würde, aber auf einmal erschien
mir alles andere irgendwie völlig nebensächlich. Schließlich ertappte ich mich dabei, dass ich am liebsten jede Minute mit diesem Mädchen zusammen sein wollte.
Am dritten Tag fragte ich sie dann, ob sie vielleicht Lust hätte, mit
mir zusammen den Ben Loyal zu besteigen - natürlich könnten auch
alle anderen mitkommen, die Lust auf eine Bergtour hätten. Da sich
keiner von den Jungs der Tour anschließen wollte, hatte ich am Ende
eine Gruppe mit insgesamt vier Mädels um mich versammelt - inklusive Shara. Hmm.
Wir sind zuerst zwei Stunden lang durch die sumpfige Moorlandschaft mit ihren stacheligen Riedgrasbüscheln gestapft, um zum Fuß
des Berges zu gelangen, bevor wir überhaupt damit beginnen konnten, den steilen Hang zum Gipfelgrat hochzuklettern. Der Berghang
war zwar relativ steil, aber im Grunde genommen hatten wir uns noch
die „leichte" Aufstiegsroute ausgesucht.
Nach etwa 60 Metern sah die Hälfte der Mädels ziemlich erledigt aus.
Nachdem wir uns so mühsam durch diese Sumpflandschaft gequält hatten, war ich jedoch der Meinung, dass wir auf jeden Fall versuchen sollten, noch ein gutes Stück weiter den Berghang hinaufzuklettern. Denn schließlich war das Klettern ja der Teil der Bergtour,
der am meisten Spaß machte.
Alle waren einverstanden und so kletterten wir immer weiter hinauf.
Erst nachdem man den Gipfel hinter sich gelassen hat, verläuft
die Route für den Abstieg auf der anderen Bergseite nicht mehr ganz
so steil; allerdings muss man zuvor noch eine kurze, relativ stark ausgesetzte Strecke durch Schrofengelände bewältigen - das heißt, auf
diesem Abschnitt gibt es keinen vorgegebenen Weg, sondern man
muss sich seinen Weg in dem abschüssigen, felsdurchsetzten und mit
Erika bewachsenen Hang selbst suchen. Da es nur eine kurze Strecke
von etwa 150 bis 200 Metern war, die es zu überwinden galt, bin ich
wohl fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Mädels viel lieber unter Zuhilfenahme der Hände eine sichere, wenn auch steile
Route hinunterkraxeln würden auf der keine Seilsicherung erforderlich ist. Außerdem hatte man auf dieser Route noch eine fantastische
Aussicht aufs Meer.
Allerdings entwickelte sich die Sache nicht ganz nach Plan.
Das erste panikartige Wimmern schien irgendwie nur der Auftakt zu einem wahren Konzert an Gezeter zu sein, denn ein Mädchen nach dem anderen fing vor lauter Angst an zu jammern. Es ist
schon sonderbar, wie schnell doch bei jedem Mädchen die Stimmung von „Alles in allerbester Ordnung." in „Hilfe, ich will hier
raus!" umschlagen kann - in Nullkommanichts, sobald die Erste in
der Gruppe in Panik gerät.
Dann begannen die Tränen zu kullern.
Ein Albtraum.
Das Ganze endete schließlich damit, dass ich drei Grazien, die am
meisten mit der Angst zu kämpfen hatten, nacheinander den Berghang hinuntergeleiten musste. Dabei musste ich ganz dicht hinter ihnen stehen, ihnen genau zeigen, wo sie sich mit den Händen festhalten mussten, dann meine Hände zur Sicherheit noch obendrauf legen
und ihnen auch dabei helfen, einen Schritt nach dem anderen zu machen und ihre Füße exakt dort zu platzieren, wo auch meine Füße
standen, damit sie sich sicher fühlten und nicht abstürzen konnten.
Doch der springende Punkt an der ganzen Geschichte ist, dass
Shara das einzige der vier Mädels war, das die gesamte Bergtour supercool gemeistert hat; sie ist zuerst kontinuierlich bergauf gestapft
und danach einfach kontinuierlich wieder bergab, und zwar direkt
neben mir, während ich den anderen Hilfestellung gegeben habe.
Jetzt war ich total hin und weg von ihr.
Für mich ist jemand, der in einer heiklen Situation einen kühlen
Kopf bewahrt, wahrhaft unwiderstehlich. Und wenn ich nicht schon
vorher total in sie vernarrt gewesen wäre, hätte spätestens dieses gemeinsame Bergabenteuer mit ihr den Ausschlag gegeben.
Mich überkam so eine leise Ahnung, dass ich mit ihr die Frau meiner Träume gefunden hatte.
Am nächsten Abend war Silvester und ich hatte
mit Shara einen geheimen Plan ausgeheckt, dass wir uns pünktlich
auf den Glockenschlag um Mitternacht draußen vor der Hintertür
treffen.
„Lass uns einen Spaziergang machen", schlug ich
Weitere Kostenlose Bücher