Schlamm, Schweiß und Tränen
Everest.
Doch für jeden ehrgeizigen Bergsteiger stellt das Terrain unterhalb des Gipfels eine sehr große Gefahr dar, denn gerade die tückische Kombination aus mehreren Tausend Metern Fels, Schnee und
Eis ist mittlerweile einer unverhältnismäßig hohen Anzahl sehr erfahrener Bergsteiger schon zum Verhängnis geworden, und zwar insbesondere beim Abstieg.
Und das aus folgendem Grund: Unmittelbar unterhalb des Everest-Gipfels fällt der südöstliche Gipfelgrat aus Fels, Schnee und blauem Eis fast senkrecht zu einer Steilstufe ab - dem sogenannten Hillary Step. Danach geht es über einen stark überwechteten Eisgrat steil
hinunter zum Südgipfel, dann durch tiefen Pulverschnee zum Balkon
und danach erreicht man schließlich den Südsattel, etwa gut 900 Höhenmeter unterhalb des Hauptgipfels.
Der Südsattel liegt eingebettet zwischen zwei riesigen Gipfeln -
dem Lhotse im Süden und dem Everest im Norden -, und genau hier
sollte der Standort für unser Lager 4 vor dem Gipfelanstieg sein.
Im günstigsten Fall würden wir - aufgrund der Akklimatisation
- allein sechs Wochen benötigen, um vom Basislager bis hinauf zum
Südsattel vorzudringen.
Unterhalb vom Südsattel fällt dann die etwa 60 Grad steile westliche Lhotse-Flanke - eine vergletscherte Eiswand - über 1.500 Meter jäh in die Tiefe. Etwa auf halbem Weg durch diese Wand müssten wir uns dann einen Lagerplatz quasi aus dem Eis hauen - unser
Lager 3.
Am Fuße dieser Eiswand beginnt der am höchsten gelegene und
atemberaubendste in Eis erstarrte Talkessel (Kar) der Welt. Nachdem
wir die erste Hälfte dieses Gletscherkars durchquert hätten, würden
wir in Lager 2 übernachten und sobald wir das andere Ende des Gletschertals erreicht hätten, in Lager 1. Dieses gigantische Gletschertal
wird auch „Western Cwm" genannt oder „Tal des Schweigens".
Vom oberen Ende des Gletschers aus wird das Eis durch diese kesselförmige Talmulde bis an den Rand einer Geländestufe geschoben,
wodurch es mit gewaltiger Kraft auseinanderbricht, sodass tiefe Gletscherspalten und bizarre Eisblöcke entstehen, die sich kaskadenartig
übereinandertürmen.
Das ist ungefähr so ähnlich wie bei einem breiten, gleichmäßig
fließenden Fluss, der zwar schmaler wird, sobald er eine enge Schlucht
passiert, dafür aber gefährliche Stromschnellen bekommt. Doch hier
ist das Wasser eben steinhart gefroren. Die Eisblöcke sind mitunter so
groß wie ganze Häuser und knarren bedrohlich, wenn sie durch die
Gletscherbewegung langsam in Richtung der Talöffnung geschoben
werden.
Dieser gefrorene Fluss, der sich über eine Breite von gut 500 Metern „ergießt", ist der sogenannte Khumbu-Eisbruch - eine der gefährlichsten Passagen bei der Everest-Besteigung.
Ist man endlich am Fuß dieses Eisbruchs angekommen, hat man
das Everest-Basislager erreicht.
Mick und ich haben die ersten Wochen nach unserer Ankunft
damit verbracht, Bergtouren ins Vorgebirge des Himalajas zu unternehmen, damit sich unser Körper nach und nach an die Höhe akklimatisieren konnte, und wir auch zunehmend eine Vorstellung von der enormen Größenordnung der Herausforderung bekamen, die da
vor uns lag.
Langsam stiegen wir immer höher hinauf in die Berge, bis wir uns
irgendwann auf etwa 5.400 Metern befanden, am Fuß des KhumbuEisbruchs, der gleichzeitig der Ausgangspunkt unserer eigentlichen
Everest-Expedition war.
Wir stellten also unsere Zelte im Basislager am Fuß des Achttausenders auf und warteten darauf, dass in den nächsten beiden Tagen
die restlichen Teammitglieder eintrafen.
Als wir so dasaßen und warteten, während wir - den Kopf in
Richtung Everest-Gipfel gereckt - nach oben stierten, merkte ich auf
einmal, wie sich tief in meiner Magengrube ein ziemlich flaues Gefühl zusammenbraute. Ich wollte nur, dass es jetzt endlich losging -
ganz gleich, was mich unterwegs auch erwarten würde. Denn die
Warterei ist immer das Schlimmste.
Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich mit einer solchen
Angst, Aufregung, Sorge - und Atemnot - zu kämpfen gehabt.
Dabei hatte die Everest-Expedition ja noch nicht einmal angefangen, das heißt, ich wusste weder was mich erwartet noch ob ich dieser
Herausforderung überhaupt gewachsen war.
Daher beschloss ich, mir nicht in allen möglichen Farben in Gedanken auszumalen, wie das Ganze laufen könnte, sondern diese Expedition so zu beginnen, wie ich es mir ganz zu Anfang vorgenommen hatte.
Ich würde absolut alles geben, um diese Mission
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