Schlamm, Schweiß und Tränen
ich mir, die Grundvoraussetzung, um
diesen Berg zu ersteigen.
Doch die Höhe und die gewaltige Dimension dieses schier endlosen Gletschertals machte uns zunehmend zu schaffen, denn aufgrund
unserer extremen Erschöpfung kam es uns so vor, als wollte Lager 2
einfach nicht näher kommen.
Dann trafen wir endlich in Lager 2 ein. Allerdings, gemessen an
der Kraftanstrengung, die wir aufbieten mussten, um es zu erreichen, machte es nicht gerade viel her. Es lag im Schatten der großen Steilwand des Everest und war an den äußersten Rand einer Seitenmoräne
gequetscht; es war grau, kalt und alles andere als einladend.
Das dunkelblaue Eis des Gletschers war an manchen Stellen mit
Geröll bedeckt, in dem sich in der heißen Mittagssonne Schmelzwassertümpel bildeten. Ringsum war alles nass, rutschig und matschig.
Als ich versuchte, auf Händen und Füßen über einen kleinen Eisvorsprung zu kraxeln, bin ich ausgerutscht. Ich war einfach erschöpft
und musste mich dringend ausruhen. Dennoch freute ich mich riesig,
dass wir eine weitere Etappe unserer Aufstiegsroute bewältigt hatten,
auch wenn diese Etappe - verglichen mit dem, was noch vor uns lag
- fast ein Spaziergang war.
Als wir das nächste Mal ins Basislager zurückkehrten - in jener
Nacht schlief ich das erste Mal seit meiner Ankunft in Nepal tief und
fest -, beschloss ich, das Satellitentelefon zu nutzen, um mit meiner
Familie zu telefonieren.
Eine Minute kostete immerhin drei Dollar. Deshalb hatte ich bisher noch keinen Gebrauch davon gemacht, da ich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon genug Schulden hatte. Außerdem hatte ich mir
ursprünglich vorgenommen, erst dann zu Hause anzurufen, wenn ich
kurz davor wäre, den eigentlichen Gipfelanstieg in Angriff zu nehmen
- falls ich es überhaupt so weit schaffen würde.
„Hallo, Mama, ich bin's."
„Bear? Es ist Bear!", rief sie ganz aufgeregt.
Es tat so gut, einfach die Stimmen der Menschen zu hören, die ich
liebte.
Ich fragte, was es alles Neues gibt.
Dann erzählte ich meinen Leuten, wie ich mit knapper Not aus
einer Gletscherspalte gerettet wurde.
„Wo bist Du reingefallen? In eine Spalte?", fragte meine Mutter.
„Nein, in eine Gletscherspalte", sagte ich noch einmal laut und
deutlich.
„Sprich lauter. Ich kann Dich ja kaum verstehen, mein Junge." Sie
ermahnte alle um sie herum, leiser zu sein und fuhr dann mit dem
Gespräch fort. „Nun, ... wie war das noch gleich mit dieser Spalte?"
„Ach Mama, das ist gar nicht so wichtig", sagte ich lachend. „Ich
hab' Dich lieb."
Die Familie sorgt eben immer dafür, dass wir die Bodenhaftung
nicht verlieren.
Vier Tage später waren wir dann erneut vom Basislager aufgestiegen und zu Lager 2 zurückgekehrt, das sich am Rand der
Seitenmoräne des Gletschers im Western Cwm befand.
Es war fünf Uhr früh und unheimlich still, als ich in der Morgendämmerung zusammengekauert unter dem Vordach meines Zeltes
hockte und hinausschaute über die Eisfläche des Gletschers.
Es war kalt. Sehr kalt.
Mick hatte sich die ganze Nacht hin und her gewälzt. Das lag an
der Höhe. Sie raubt einem den Schlaf, verursacht einen permanenten
Kopfschmerz, entzieht der Luft jegliche Feuchtigkeit und macht so
der Lunge das Atmen schwer - auf diese Weise ist dann gewährleistet,
dass jeder garantiert rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, hustet
und prustet.
Hinzu kommt die beißende Kälte, das ständige Gefühl, sich übergeben zu müssen und eine unbeschreibliche Kraftlosigkeit, die selbst
die Verrichtung der banalsten alltäglichen Aufgaben zu einer regelrechten Herkulesarbeit werden lässt - damit wäre auch geklärt, warum das Höhenbergsteigen nur etwas für Hartgesottene ist.
Die Lebenswirklichkeit in extremer Höhe, in Regionen weit unter
dem Gefrierpunkt, konnte kaum ernüchternder sein.
Doch heute ging es für uns ums Ganze.
Vom Basislager aus hatten wir nach einer siebenstündigen Klettertour Lager 2 erreicht. Es war das erste Mal, dass wir diese Route in
einem Stück zurückgelegt hatten, ohne zuvor in Lager 1 zu übernachten - aber das hatte sich bitter gerächt.
Heute mussten wir noch höher aufsteigen - doch ab hier würde
die Steigung noch steiler und der Aufstieg noch gefährlicher werden.
Lager 3 befindet sich in einer Höhe, in der der Mensch gerade
noch überleben kann, doch wie mir wiederholt von zweifelnden Reportern berichtet wurde, soll sich die Anpassungsfähigkeit des
menschlichen Körpers an große Höhen
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