Schlamm, Schweiß und Tränen
tiefen Abgrund der Gletscherspalte hin und her.
Mick und ich überlegten, welche Möglichkeiten wir nun hätten.
Nima befand sich ein Stück unterhalb von uns; er war noch einmal zurückgeklettert, weil er die Route an verschiedenen Stellen dringend mit zusätzlichen Eisschrauben versichern musste.
Wir beschlossen daher, nicht zu versuchen, eine neue Route zu Lager 1 ausfindig zu machen - schließlich waren wir für den ersten Tag
genug geklettert. Also drehten wir um und begannen mit dem Abstieg.
Der Abstieg war sehr anstrengend. Viel anstrengender, als ich es
mir je vorgestellt hätte. Meine Beine schmerzten, mein Herz und meine Lunge arbeiteten auf Hochtouren, um möglichst das allerletzte
Quäntchen Sauerstoff aus dieser dünnen Luft herauszuziehen.
Nach einem ganzen Tag im Eis fühlte ich mich total ausgelaugt.
Denn der hohe Adrenalinspiegel, die permanente Konzentration auf jeden Schritt und die große Höhe kosteten extrem viel Kraft und Energie.
Es ist schwer, diese Art von Erschöpfung zu beschreiben: Man hat
das Gefühl, dass dieser Berg einem jegliche Kraft raubt und einem
nichts zurückgibt.
Irgendwann wirkte dieses Klickgeräusch der Karabinerhaken,
wenn ich mich mit dem Expressset an meinem Klettergurt in den angebrachten Fixseilen einklinkte, regelrecht hypnotisierend. Ich kniff
meine Augen fest zusammen, dann öffnete ich den Karabiner und
versuchte dabei, rhythmisch zu atmen.
Wir befanden uns knapp 5.500 Meter über dem Meeresspiegel,
mitten in der weißen Hölle des Mount Everest. Während ich mir mit
meinen dicken Handschuhen an den Fixseilen zu schaffen machte,
merkte ich auf einmal, dass meine Hand zitterte.
Es war pure Erschöpfung.
Eine Stunde später hatte ich den Eindruck, dass wir dem Basislager noch immer kein Stück näher gekommen waren und allmählich
fing es an, dunkel zu werden.
Von einer inneren Unruhe getrieben, ließ ich meinen Blick über
den Eisbruch schweifen. Wir sollten doch ungefähr hier oben wieder
mit Nima zusammentreffen, so hatten wir es besprochen. Ich schaute
mich suchend um, aber ich konnte ihn nirgendwo entdecken.
Ich grub meine Steigeisen in den Schnee, lehnte mich mit dem
Rücken an die Eiswand, um wieder Atem zu schöpfen und wartete
auf Mick, der mir folgte.
Er war noch etwa zehn Meter von mir entfernt und platzierte seine
Schritte vorsichtig auf den mit Rissen durchzogenen Eisblöcken. Wir
waren jetzt seit über neun Stunden in dieser eisigen Todesfalle, einem
einzigen Labyrinth aus tiefen Gletscherspalten und Eisblöcken, unterwegs und schleppten uns mittlerweile nur noch mühsam voran.
Als ich dann sah, dass sogar der große starke Mick nur ganz langsam vorwärtskam, wusste ich, dass wir in der Tat auf einem echt großen Berg unterwegs waren.
Ich rappelte mich wieder auf und ging vorsichtig ein paar Schritte
weiter, wobei ich bei jeder Bewegung das Eis ganz genau beobachtete.
Nachdem ich das Ende einer Seillänge erreicht hatte, klickte ich mich
aus dem Sicherungsseil aus, holte keuchend Luft und griff nach dem
nächsten Seil.
Ich hielt es lose in meiner Hand, schaute mich kurz um, nahm
noch mal einen tiefen Atemzug und klinkte mich dann mit meinem
Karabiner in das Fixseil ein.
Dann spürte ich auf einmal, wie der Boden unter meinen Füßen
kurz zuckte.
Ich schaute nach unten und sah, wie ein Riss zwischen meinen
Füßen mit einem leisen Pfeifen durch das Eis sauste.
Ich traute mich nicht, auch nur eine Bewegung zu machen.
Die Welt schien plötzlich stillzustehen.
Dann passiert es: Das Eis hinter mir knackt noch einmal und ganz
ohne Vorwarnung bricht es einfach unter meinen Füßen weg und
reißt mich mit in die Tiefe.
Ich stürze, hinunter in diesen tödlichen, schwarzen Abgrund des
Gletschers, der so tief ist, dass ich keinen Boden erkennen kann.
Dann krache ich auch schon gegen die graue Wand der Gletscherspalte.
Die Wucht des Aufpralls schleudert mich gegen die andere Seite,
wodurch ich mit der Schulter und meinem Arm gegen das Eis knalle.
Dann, plötzlich, ein kräftiger Ruck und das dünne Fixseil, in das ich
mich gerade eingeklinkt habe, fängt meinen Sturz ab.
Ich wirbele herum und drehe mich in der Luft. Mit den Spitzen
meiner Steigeisen erreiche ich die Wand der Gletscherspalte.
Ich kann hören, wie das Echo meiner Schreie in der Dunkelheit
unter mir verhallt.
Eisstücke regnen ununterbrochen auf mich herab und ein größeres
Stück trifft mich so hart am Kopf, dass mein Kopf nach
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