Schlamm, Schweiß und Tränen
kann.
Mein Ellenbogen tut höllisch weh, wo ich gegen die Gletscherwandgekracht bin und ich kann spüren, dass winzige Knochensplitter in dem
starkgeschwollenen und mit Wundflüssigkeit gefüllten Schleimbeutel herumschwimmen, was mich schon etwas beunruhigt.
Der Arzt sagt, dass man bei einer Ellenbogenverletzung nicht viel machen kann, außer ihn medizinisch zu versorgen und ihm Zeit zu geben,
von alleine zu heilen. Zumindest hatte ich Glück im Unglück - ich hätte
mir auch den Kopf aufschlagen können!
Im Augenblick kann ich überhaupt nicht einschlafen - immerzu habe ich
dieses Bild vor Augen, wie ich in dieser Gletscherspalte hänge, unter mir
der Abgrund -, denn sobald ich die Augen schließe, überfällt mich eine
unbändige Angst.
In die Tiefe zu stürzen, das ist ein schreckliches Gefühl absoluter Hilflosigkeit. Ich habe genau dieselbe panische Angst gespürt wie damals bei
meinem Fallschirmunfall.
Ich glaube, dass ich noch niemals so kurz davor war, mein Leben zu verlieren wie heute. Aber dennoch habe ich überlebt - schon wieder.
Deshalb empfinde ich nicht nur eine tiefe Dankbarkeit für alle guten und
schönen Dinge in meinem Leben, sondern bin auch fest entschlossen, dass
ich jetzt noch nicht sterben will. Denn ich habe so viel, wofür es sich zu
leben lohnt.
Ich bete aus tiefstem Herzen, dass mir nie wieder ein solches Erlebnis widerfahren möge.
Heute Nacht in der Einsamkeit will ich meinen Dank in Worte fassen:
Ich danke Dir, mein Gott und treuer Freund.
Immerhin war es ein verdammt harter und steiniger Weg, bis ich die
Klettertour meines Lebens in Angriff nehmen konnte.
P. S.: Heute hat meine Shara Geburtstag. Beschütze sie, wo auch immer
sie gerade sein mag.
Wenn Du einen Weg ohne Hindernisse findest,
führt er wahrscheinlich nirgendwo hin."
Der Typ, der das einmal gesagt hat, hatte verdammt recht.
Denn im Leben geht es doch einzig und allein darum, dass man
sich immer wieder aufrappelt, sich den Staub aus den Klamotten
klopft, seine Lehren aus den Misserfolgen zieht und weitermacht.
Und genau das habe ich gemacht.
In den darauffolgenden Tagen Anfang April herrschten perfekte
Wetterbedingungen zum Klettern. Gemeinsam haben wir uns alle
recht zügig vorangekämpft und ich habe - abgesehen von den permanenten Schmerzen in meinem angeknacksten Ellenbogen - überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass ich in der Tiefe der Gletscherspalte dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen war.
Wir haben den Eisbruch durchstiegen und dann unser Lager 1
oben an der Abbruchkante der Steilstufe errichtet. Dort haben wir
dann die Nacht verbracht und sind am nächsten Morgen wieder zum
Basislager abgestiegen. Beim nächsten Aufstieg würden wir noch höher aufsteigen, hinein ins das riesige Gletschertal des Western Cwm,
um zu versuchen, bis zu Lager 2 vorzudringen.
Unsere Rucksäcke waren jetzt noch schwerer als zuvor, denn wir
hatten zusätzliches Ausrüstungsmaterial eingepackt, das wir weiter
oben am Berg brauchen würden. Vor uns erstreckte sich das schier
endlose Gletschertal in grellem, gleißenden Licht und wir bahnten
uns - wie Ameisen auf einer allmählich ansteigenden riesigen
Schneerampe - nun langsam einen Weg durch das Western Cwm, das
Tal des Schweigens.
Vorsichtig bewegten wir uns mit schlurfenden Schritten vorwärts
und durchkletterten immer wieder riesige, mit Schnee gefüllte Furchen und Spalten, die sich tief in den Gletscher hineingefressen hatten. Als wir dann aus einer Spalte mit einer besonders hohen Abbruchkante herauskletterten und hinauf zu einem weiteren künstlichen Horizont, sahen wir zum ersten Mal in der Ferne die Gipfelpyramide des Everest.
Der gewaltige Gipfel ragte hoch in den Himmel hinauf; noch immer lagen gut 2.500 Höhenmeter zwischen uns. Dieser Anblick verschlug mir den Atem.
Als die Sonne über der Gipfelspitze des Everest aufging und ihre
Strahlen sich zaghaft einen Weg durch den Wind und Schnee des Gipfels bahnten, saßen wir auf unseren Rucksäcken und beobachteten dieses Schauspiel in ehrfürchtigem Schweigen. Mein Puls fing plötzlich an
zu rasen - es war eine Mischung aus Aufregung und Angst.
Der Gipfel schien wahrhaftig unbezwingbar zu sein, noch immer
so weit entfernt, unnahbar und unerreichbar.
Ich beschloss daher, nicht allzu oft hinaufzuschauen, sondern
mich stattdessen lieber auf meine Schritte zu konzentrieren und dafür
zu sorgen, dass ich weiter gut vorankomme.
Denn das wäre, so dachte
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