Schlamm, Schweiß und Tränen
Südfrankreich und
dafür berühmt, dass es das bevorzugte Urlaubsziel für die Reichen
und Prominenten ist. Zum damaligen Zeitpunkt war ich ganz sicher
nicht reich (genau genommen wurde ich von nun an tagtäglich immer ärmer) und ganz sicher auch nicht prominent, doch das schreckte mich wenig. Also machte ich mich auf den Weg gen Süden und fühlte
mich gleich viel besser.
Als ich dann in St. Tropez aus dem Bus stieg, hatte ich das Gefühl,
dass das öde Grau von Berlin sehr, sehr weit weg ist. Meine Finanzen
waren zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ganz schön knapp, und
wie ich schnell feststellen sollte, war St. Tropez kein Ort, in dem man
eine günstige Unterkunft bekommen konnte. Doch ich war fest entschlossen, dass ich genau hier meine letzte Woche in vollen Zügen
genießen wollte, bevor ich mich wieder in Richtung Heimat aufmachte.
Ich fand in der Stadt ein ruhiges kleines Seitengässchen, das zur
Rückseite des Kirchturms führte.
Ich schaute hinauf
Ein recht stabil wirkendes Regenrohr führte hinauf zum ersten
Dachabschnitt und von dort aus verlief ein Blitzableiter schnurgerade
auf der senkrechten Außenwand des Glockenturms entlang bis ganz
nach oben.
Oh Mann, wie ich Blitzableiter liebe.
Ich vergewisserte mich zuerst, dass ich keine Zuschauer hatte und
hangelte mich dann Stück für Stück am Regenrohr und am Blitzableiter nach oben, bis ich zum Schluss nur noch einen Vorsprung überwinden musste, bevor ich mich in den Glockenturm zwängen konnte,
der gut und gerne über 30 Meter hoch war und hoch oben über der
Stadt thronte.
Das war der perfekte Lagerplatz. Ich hatte nicht nur eine atemberaubende Aussicht über die ganze Bucht, sondern ich konnte von hier
oben auch das geschäftige Treiben vor den Hafenrestaurants und -cafes sehen und hören. Im Turm war gerade einmal genug Platz, dass
man sich hinlegen konnte; also habe ich vorsichtig ausgepackt und die
knapp sechs Quadratmeter Betonboden zu meinem neuen Zuhause
gemacht.
Mein Plan hatte jedoch zwei gravierende Fehler: Erstens, gab es
jede Menge Tauben, die ebenfalls im Glockenturm ihr Quartier bezogen hatten und zweitens, läuteten die Glocken jede Stunde, und das
nur einen halben Meter von meinem Kopf entfernt. Mit dem ersten Fehler konnte ich mich gut arrangieren (eigentlich dachte ich sogar,
dass ich so zumindest ganz leicht an ein Abendessen - in Form einer
gebratenen Taube - komme, falls mir das Geld ganz ausgeht), doch
was den zweiten Fehler anging, dieses Glockengeläut wurde einfach
unerträglich.
Um drei Uhr morgens in der ersten Nacht fand ich, dank meiner
Taschenlampe, den Sicherungskasten für die Glockenautomatik und
habe dann dem Glockenläuten in der Stadt vorübergehend ein Ende
gesetzt. Ab da habe ich geschlafen wie ein Murmeltier.
Tagsüber bin ich stundenlang durch die wunderschönen Buchten
geschwommen, bin am Strand entlang spaziert und danach ziellos
durch die engen Gassen gewandert, habe mich in ein Straßencafe gesetzt und Tee getrunken.
Das war einfach himmlisch.
Doch ziemlich bald ging mir das Geld aus und da war mir klar,
dass es Zeit war, nach Hause nach England zurückzufahren.
Ich hatte jedoch versprochen, dass ich vor meiner Heimreise noch
meinen guten alten Freund Stan begleiten würde, der auf einer Geschäftsreise nach Rumänien war, um einer kleinen Kirchengemeinde
dabei zu helfen, ein Waisenhaus zu errichten. Damals war Rumänien
ein typisch osteuropäisches Land, in dem Armut nicht nur weit verbreitet, sondern auch sehr offensichtlich war.
Diese Mission hat mein Leben in vielerlei Hinsicht verändert,
denn sie hat mir gleichzeitig vor Augen geführt, wie gut es uns doch
in Großbritannien geht.
Die Kirchenmitglieder nahmen uns bei sich zu Hause wie Brüder
auf und wir haben tagsüber nach Kräften beim Aufbau des Waisenhauses geholfen. Wir haben Mauern hochgezogen und Sand geschippt
und abends haben wir im Ort durch Informationsveranstaltungen
dazu beigetragen, die kleine Kirchengemeinde zu unterstützen. Diese
Veranstaltungen waren in erster Linie darauf ausgerichtet, die Zigeuner vor Ort willkommen zu heißen und ihnen zu helfen, da sie vom Großteil der hier lebenden Bevölkerung wie Aussätzige behandelt
wurden.
Während dieser Reise habe ich gelernt, dass mir nicht das geringste Recht zukam, mich über meine eigenen Verhältnisse zu beklagen
und dass ich im Prinzip immer und überall versuchen sollte, dankbar
und gastfreundlich zu sein. Vor
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