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Schlangenaugen

Schlangenaugen

Titel: Schlangenaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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versuchte er, sich von seinen eigenen Gefühlen abzulenken. Die Zweige im prasselnden Feuer knackten laut und verdeckten das Geräusch sich nähernder Schritte. Ein Käuzchen schrie irgendwo im Wald hinter ihnen. Joe wollte gerade antworten, als sie in ihrem Rücken das Einrasten eines Gewehrhahns hörten. Stratton trat aus dem Gebüsch hervor, die Schrotflinte im Anschlag.
    „Keiner rührt sich und Hände weg vom Revolver!“, rief er André zu, der gerade danach greifen wollte. Jetzt hob er die Hände. „Deine Frage kann ich dir besser beantworten“, übernahm der Aufseher das Wort. „Der Junge hier ist das Produkt von Master McMillan und einer hübschen Sklavin, die er sich genommen hat. McMillan fackelt nicht lange bei den Weibern.“ Mit dem Gewehrlauf wies er auf Joseph, der wie erstarrt dasaß. André blickte von dem unerwarteten Besucher zu ihm hinüber. „Soll das heißen, du bist…“, begann er verwirrt.
    Stratton lachte auf. Es klang zynisch und kalt. „Der Boy ist ein Mischling, ganz recht. Ein Bastard! Seine Mutter hat ihn garantiert nicht gewollt. Hätte einen kräftigen Sklaven abgegeben. Aber McMillan hat ihm den Schongang verpasst. Bloß keine Ketten, hieß es! Nicht mal das Brandzeichen der Cloudy Moon hast du bekommen, nicht war, Joseph? Bislang warst du vielleicht ein Glückspilz, doch das kann sich schnell ändern.“
    Seine schmalen, grauen Augen funkelten böse zu dem Jungen hinüber. Dieser schluckte. Nicht weil die Wahrheit ans Licht kam, sondern weil Stratton sie so schonungslos offenbarte. Und er war noch nicht fertig. „Soll ich dir mal was erzählen, mein Junge? McMillan hat deine Mutter vorher nicht gefragt. Hatte ziemlich viel Spaß, der Master, die Niggerin weniger.“ Er lachte wieder.
    Joseph ballte die Fäuste. Der Junge spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Doch er biss die Zähne zusammen. „Dein Fehler war nur, dass du mir weggelaufen bist. So was ist in dreißig Jahren noch nicht passiert und es wird auch nicht passieren. Das überlebt bei mir kein Sklave!“, drohte der grauhaarige Aufseher und legte die Flinte auf Joseph an.
    André hatte Strattons Rede atemlos gelauscht. Seine ganze Zuneigung galt einem entlaufenen Sklaven? Als der Aufseher jetzt seinen neuen Freund zu erschießen drohte, sprang er auf und stürzte wie ein Tiger auf den massigen Mann los, warf ihn durch den Aufprall zu Boden. Ein Schuss löste sich, als er das Gewehr nach oben riss. Joseph schrie auf. Der Spieler und der alte Aufseher rollten über den Boden, prügelten aufeinander ein. Kräftemäßig war der dunkelhaarige junge Mann dem hartgesottenen Stratton trotz dessen Alters weit unterlegen.  
    André keuchte, als Stratton auf ihm lag und versuchte, mit beiden Pranken seine Kehle zuzudrücken. Hilflos ruderte er mit den Armen, bis er mit seiner rechten Hand einen kantigen Stein zu packen bekam. Mit letzter Kraft schlug er um sich und traf Stratton damit an der linken Schläfe. Dieser sackte bleischwer auf die Seite. Aus einer Platzwunde rann Blut unablässig ins Gras. André kniete noch immer röchelnd neben seinem Gegner. Ihm wurde erst jetzt bewusst, was geschehen war.
    Mit zitternden Fingern fühlte er an der Schlagader des reglos Daliegenden, ob diese noch pochte. Er konnte nichts fühlen. Siedendheiß fiel ihm ein, dass er zum Mörder geworden war. Auch wenn es Notwehr gewesen war, wer würde einem Spieler glauben? Erschrocken sah er zu Joe hin, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Oberschenkel festhielt. Er humpelte. André eilte zu ihm und drängte ihn, sich hinzusetzen, damit er die Verletzung begutachten konnte. Ein Streifschuss! Gott sei Dank, die Kugel steckte nicht, aber Joe blutete stark. André zerriss ein Ersatzhemd aus der Satteltasche in Streifen und band die Wunde oberhalb ab, bis die Blutung zum Stillstand kam.
    Beide schauten sie zu dem Aufseher hinüber. „Er ist tot“, murmelte André.
    „Wir können ihn nicht so liegen lassen“, meinte Joe. „Es war doch Notwehr.“
    André schüttelte heftig den Kopf. „Spielt keine Rolle. Wer sollte uns das glauben? Du bist ein entlaufener Sklave und ich ein Berufsspieler, den man aus der Stadt gejagt hat. Wir werden verhaftet und gehängt. Zumindest einer von uns.“
    Keine guten Aussichten für die beiden Gefährten. Ihr minutenlanges Schweigen wurde nur von dem Zirpen der Zikaden unterbrochen. André fachte das Feuer neu an. „Wir reiten im Morgengrauen los und versuchen, so schnell wie möglich über die

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