Schlangenblut (German Edition)
alles im Griff. »Okay, dann machen Sie eben diese Röntgenaufnahme.«
»Verbindlichsten Dank, Agent Guardino«, erwiderte der Chirurg mit triefendem Sarkasmus.
»Nichts zu danken, Doc«, sagte Lucy betont beiläufig. »Aber eine Bitte hätte ich noch. Da mein Hintern im Freien hängt, könnte mir vielleicht jemand eine Decke drüberwerfen oder die Heizung aufdrehen? Es ist arschkalt hier drin. Außerdem muss ich meinen Jungs –«
»Nach dem Röntgen.«
Dagegen konnte Lucy nichts einwenden. Die Menschen um sie herum traten beiseite, als eine große Maschine hereingerollt wurde. »Könnten Sie schwanger sein? Wie viel wiegen Sie? Irgendwelche Vorerkrankungen?«, leierte eine anonyme Hilfskraft mit derart monotoner Stimme herunter, dass Lucy nicht einmal hätte sagen können, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte.
Dann beantwortete sie die Fragen einer Krankenschwester, die als Einzige im Raum in die Hocke ging, um mit Lucy Blickkontakt aufzunehmen.
Wieder litt sie furchtbare Qualen, als die Hilfskraft die eiskalte Röntgenplatte unter sie schob. Die Schwester fragte, ob sie irgendwelche Medikamente wolle, doch Lucy lehnte ab. Sie musste einen klaren Kopf behalten. Alle traten zurück, und nach einem Piepton war die Aufnahme fertig.
»Könnte jetzt bitte jemand einen meiner Kollegen reinschicken? Egal ob vom FBI oder von der Pittsburgher –« Lucy versuchte, den Kopf zu heben, um zu sehen, ob man sie in dem Raum allein gelassen hatte, konnte aber nicht so weit über die Schulter blicken. Dann hörte sie die Tür aufgehen und Schritte näher kommen.
»Lucy?« Es war Nick. Sie versteifte sich gegen den neuen Schmerz, der aber diesmal nicht von dem Metallstück in ihrem Rücken ausging, sondern tiefer reichte und schwerer zu beherrschen war. »O mein Gott –«
»Wie geht es Megan?« Sie wollte sich weit genug umdrehen, um sein Gesicht zu sehen, konnte es aber nicht. »Ist was passiert?«
»Allerdings. Meine Frau hat ganz offensichtlich die Wahnvorstellung entwickelt, Superwoman zu sein und fliegen zu können.« Er setzte sich auf den Hocker vor ihr. Sein Gesicht war blass und besorgt. Und wütend. »Megan geht’s gut. Sie schläft.«
»Du hättest sie nicht allein lassen dürfen.«
»Deine Mutter ist bei ihr«, erwiderte er nur, ohne sie darauf hinzuweisen, dass nicht er Megan allein gelassen hatte, sondern Lucy.
»Tut mir leid.« Tränen ließen alles vor ihren Augen verschwimmen. Sie versuchte, sie wegzuzwinkern, konnte aber nicht verhindern, dass er sie sah.
»Was tut dir leid? Dass du Megan allein gelassen hast oder dass du fast gestorben wärst?«, konterte er mit einer gewissen Schärfe, doch sie spürte, dass in seinem Tonfall auch Angst mitschwang. Aber seine Angst und seine Verärgerung hielten ihn nicht davon ab, ihre Hand zu nehmen, als sie sie ihm entgegenstreckte.
»Ich hatte schreckliche Angst und habe mich so machtlos gefühlt. Es gab nichts, was ich tun konnte. Nichts . Ich war nicht einmal in der Lage, dieses verdammte Videospiel mitzuspielen und sie dadurch ein bisschen aufzuheitern. Ich musste irgendetwas tun. Also hab ich in meiner Angst die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um davonzulaufen, und das tut mir leid.«
Er beugte sich vor, bis seine Stirn ihre berührte. »Ich weiß. Und Megan weiß es auch. Sie ist ein kluges Kind.«
»Das hat sie wohl von ihrem Vater. Du hattest schon irgendwie recht mit diesem magischen Denken. Ich sehe die ganze Zeit Ashley und Megan zugleich vor mir, so, als ob ich beide retten könnte, wenn ich eine von ihnen rette.«
»Das ist genau das Problem beim magischen Denken. Was ist, wenn du Ashley nicht retten kannst?«
Mist. Darauf hatte sie keine Antwort. Abgesehen von dem, was sie zu ihrer Berufswahl bewogen hatte. »Ich muss es zumindest versuchen.«
Er nickte und stieß dabei gegen ihren Kopf. »Ich weiß. Aber das ist ja das Problem, nicht wahr?«
»Ich kann nichts dagegen tun, Nick. Es geht nicht nur darum, dass das mein Beruf ist – du und Megan, ihr bedeutet mir viel mehr als jeder Beruf, und das weißt du auch. Aber es ist ein Beruf, den keiner machen will und nur die wenigsten machen können, und –«
»Und zufällig machst du ihn auch noch besonders gut.« Er nahm den Kopf zurück, hielt aber weiter ihre Hand. »Ich weiß das. John Greally hat mir erzählt, dass du herausgefunden hast, wer dieses Mädchen entführt hat. Und dass du Menschenleben gerettet hast, indem du in dieses Haus gerannt bist.«
Sie zuckte
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