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Schlangenblut (German Edition)

Schlangenblut (German Edition)

Titel: Schlangenblut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Lyons
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Polizei?
    Vielleicht allen zusammen. Lucys Erfahrung nach ließ die Angst bei den Menschen die schlechtesten Seiten zum Vorschein kommen, und manche tendierten in solchen Situationen dazu, sich anstelle der wahren Opfer in den Mittelpunkt der dramatischen Ereignisse zu spielen. Sie bereitete in der Mikrowelle zwei Tassen Kräutertee zu und blickte sich dabei in der Küche nach Hinweisen auf ihre Bewohner um.
    Obwohl Lucy und ihre Familie erst vor drei Monaten hierhergezogen waren und sie noch immer nicht alle Kartons ausgepackt hatten, war ihre Küche bereits zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. An der Wand hing ein großer Kalender, in den jeder seine Termine eingetragen hatte, Megans Fußballschuhe und Schienbeinschützer lagen auf dem Boden an der Hintertür neben Lucys Laufschuhen, und auf dem Kopf stehende Kaffeebecher mit den Schriftzügen »Beste Mama der Welt« und »Weltbester Papa« wurden stolz neben einem aus der Vorschulzeit stammenden Gipsabdruck von Megans Hand auf dem Fensterbrett über der Spüle präsentiert.
    Hier aber, in der Küche der Yeagers, gab es keine solchen Requisiten aus dem täglichen Leben.
    Stattdessen war alles kalt und steril, alles in Chrom und Schwarz gehalten, aufgelockert nur durch weiße, seidenmatte Fußbodenleisten und sandsteinfarbene Fliesen. Mit Ausnahme eines gerahmten Schwarzweißdrucks vom Eiffelturm gab es keinerlei Fotos. Ein Schreibtisch war zwar vorhanden, aber anders als der von Lucy quoll er nicht über von Rechnungen und Coupons und Schulmitteilungen; auf ihm fanden sich lediglich ein – natürlich leerer – Notizblock, ein schwarz emaillierter Füller in einem Halter sowie das Telefon.
    »Waren irgendwelche Nachrichten auf dem Anrufbeantworter?«, fragte Lucy, als sie den Tee zu dem kleinen schwarz lackierten Tisch brachte, der genau in der Mitte des Raumes stand. Nur zwei Stühle.
    Melissa schüttelte den Kopf. Ein paar Haarsträhnen waren aus ihrem Pferdeschwanzgummi entkommen und klebten nun an ihren Wangen. »Die Polizisten haben den Anrufbeantworter mitgenommen, aber da war nichts drauf. Wer mich erreichen will, ruft mich auf dem Handy an.«
    Der Zimtduft des Tees, der den Raum erfüllte, war neben den beiden Frauen der einzige Hinweis auf Leben. Eine Pflanze würde dem Zimmer guttun, dachte Lucy. Selbst eine abgestorbene Pflanze wäre wenigstens ein Hinweis darauf gewesen, dass hier ein menschliches, ein fehlbares Wesen zu Hause war.
    »Wir brauchen Ihr Handy. Und Zugang zu Ihrem Computer, Palm Pilot und Ähnlichem.«
    »Das haben die von der Staatspolizei auch schon gesagt. Sie haben alles mitgenommen und lassen die Telefone überwachen.« Sie starrte auf ihren Becher hinab. »Ich hasse ihn dafür. Das ist alles nur seine Schuld.«
    »Wen meinen Sie?«
    »Ihn. Gerald. Alles war bestens, bis er plötzlich meinte, wir wären nicht mehr gut genug für ihn, und gegangen ist.«
    »Wann war das?«
    »Vor zehn Monaten. Der Dreckskerl hat seine Sachen gepackt und ist einfach abgehauen.«
    »Das muss hart gewesen sein für Ashley. Wie hat sie es aufgenommen?«
    Melissa runzelte die Stirn, als hätte sie ihre Tochter völlig vergessen. »Ganz gut bis zum Sommer. Und dann war es, als hätte sie ihre eigene Midlife-Crisis.«
    »Wann ist Ihnen zum ersten Mal aufgefallen, dass etwas nicht stimmte?«
    »Kurz vor den Ferien. Als ich mit ihr einen Badeanzug kaufen wollte – mein Gott, war das ein Fiasko.« Sie schaute an Lucy vorbei, verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge. Lucy musste spontan an Megan und ihre zwölfjährigen Freundinnen denken.
    »Ashley war eine Frühentwicklerin. Sie hatte schon vor zwei Jahren ihre erste Periode und hat schon doppelt so viele Rundungen wir ich. Ganz zu schweigen vom Babyspeck.« Melissa blickte an ihrer perfekten Figur hinab, streckte den Rücken durch, schlug ihren Morgenmantel um sich und knotete ihn mit eleganten Bewegungen zu. »Nur gut, dass sie nie die Absicht hatte, in meine Fußstapfen zu treten, das hätte sie nie geschafft.«
    »In Ihre Fußstapfen?«
    »Ich war mal Model. Damit habe ich Geralds Tierarztstudium finanziert und das Haus hier gekauft«, erklärte sie mit weit ausholender Geste, »und meine eigene Agentur aufgebaut, nachdem wir hierhergezogen waren. Pittsburgh ist natürlich nicht mit New York zu vergleichen, aber Gerald hatte ein einmaliges Stellenangebot vom Pittsburgher Zoo.«
    »Er arbeitet im Zoo?«
    »Ja, er hat die Herpetologie unter sich. Reptilien«, fügte sie auf Lucys fragenden Blick

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