Schlangenblut (German Edition)
rein.« Sie gab den anderen Beamten ihre Karte mit den Telefonnummern, unter denen sie erreichbar war, und bereitete sich gedanklich auf die Befragung der verzweifelten Eltern vor. Die beiden Detectives und Dunmar rückten hinter ihr zusammen, um zu sehen, wie die Neue sich wohl anstellte.
Doch das machte ihr nichts aus, sie hatte nichts anderes erwartet. Weitaus schwieriger würde es wohl, mit dem emotionalen Sprengstoff umzugehen, der sich anscheinend zwischen den Eltern angesammelt hatte.
»Hallo!«, rief eine vertraute Stimme. Endlich waren ihre eigenen Leute eingetroffen.
Zwei sehr ungleiche Männer kamen auf Lucy zu. Special Agent Zach Taylor, Kriminaltechniker und Computerfachmann ihrer SAFE -Einheit, war erst kürzlich aus der Polizeischule gekommen und kleidete sich noch immer wie die FBI -Männer aus Hollywoodfilmen: schwarzer Anzug mit schmalem Revers, weißes Hemd, dunkle Krawatte und Oakley-Sonnenbrille. Sein jugendlicher Enthusiasmus und sein häufig wiederholtes »In Quantico haben sie uns erklärt …« gingen Lucy auf die Nerven, aber auf seinem Fachgebiet war er ein As.
Mit ihm kam ein älterer, glatzköpfiger Schwarzer. Ihr Stellvertreter, Isaac Walden, war von allen ihren Mitarbeitern schon am längsten bei SAFE : fast vier Jahre, erst in Atlanta und jetzt hier bei ihrer neuen Einheit in Pittsburgh. Er war sechs Jahre älter als Lucy, und niemand hatte ihr erklären können, warum er immer noch dabei war. Eigentlich hätte er längst selber zum Supervisory Special Agent befördert werden und sein eigenes Team bekommen müssen. In einer Einheit, in der die Belastung so hoch war, dass sich jeder alle sechs Monate einer psychologischen Untersuchung unterziehen musste, hatte man noch nie von einem Agenten gehört, der so lange durchhielt wie Walden.
Taylor war in ihren Augen der Klassenclown, schon mehrmals hatte sie sein Ungestüm bremsen müssen und seine Tendenz, Grenzen auszutesten. Doch als Mutter hatte sie mit solchen Dingen Erfahrung.
Walden dagegen konnte sie nicht recht einschätzen. Vielleicht war er ja schon ausgebrannt und biss sich nur noch bis zu seiner Zwangspensionierung durch. Sie hoffte, dass dem nicht so war, hielt sich jedoch mit einem endgültigen Urteil zurück.
»Danke für die Einladung zur Party«, sagte Taylor, als er sie erreicht hatte. »Wo sollen wir anfangen?«
»Sehen Sie sich das Zimmer des Mädchens an und alles elektronische Zeugs, zu dem sie Zugang hatte. Und wir, Walden, kümmern uns um die Eltern.« Sie blickte hinter sich zu der allgegenwärtigen Vierten Gewalt, die mittlerweile von zwei Nachrichtenfahrzeugen auf drei angewachsen war. »Aber drinnen.«
Taylor sprang ins Haus mit der Energie eines jungen Hundes, der sich verlaufen hatte und jetzt sein Futter roch. Walden blieb an ihrer Seite und ließ ihr den Vortritt.
»Wie ich höre, haben Sie die Jungen gefunden«, sagte Walden, während sie auf die aufgelöste Mutter und den Vater mit der versteinerten Miene zugingen.
»Gesund und munter. Aber das war Teamarbeit; Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich diesmal den Staties die Lorbeeren überlasse.«
Er zuckte nur mit den Achseln. Hieß das nun, dass er einverstanden war oder eher verärgert? Sie war sich nicht sicher und hatte auch gar nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
»Mr und Mrs Yeager? Ich bin Special Agent Guardino vom FBI . Könnten wir uns vielleicht drinnen unterhalten?« Beide schwiegen. Mrs Yeager lehnte sich mit geschlossenen Augen und hocherhobenen Fäusten gegen die Brust des Mannes. Als Lucy sie von ihm wegzog, sackte sie fast in ihren Armen zusammen. Lucy führte sie ins Haus.
»Mein Baby, wo ist mein Baby?«, schluchzte die Mutter.
KAPITEL 6
Samstag, 10.28 Uhr
Lucy führte Melissa Yeager zu einem Küchenstuhl. Ohne die roten Flecken auf ihren Wangen und die tropfende Nase wäre sie eine schöne Frau gewesen. Die langen blonden Haare trug sie in einem Pferdeschwanz, der ihre hohen Wangenknochen betonte. Sie hatte perfekte Zähne, einen breiten Mund und einen schlanken Hals.
»Wäre es Ihnen recht, wenn ich uns einen Tee machen würde?«, fragte Lucy. Ein Allheilmittel für bekümmerte Mütter.
»Im Schrank neben dem Herd«, rang die Mutter sich eine Antwort ab. »Wie heißen Sie noch gleich?«
Sie wirkte jetzt ruhiger und konzentrierter als vorher mit ihrem Mann. Hatte sie den anderen da draußen die verzweifelte Mutter nur vorgespielt? Ihrem Mann, oder besser Exmann? Der Presse? Der
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