Schlangenblut (German Edition)
silberfarbener Satinmorgenrock war offen und schleifte mit dem Saum über den Boden. Ihre nackten Füße waren schmutzig. Der Mann trug eine sauber gebügelte marineblaue Hose und ein dazu passendes Seidenpolohemd.
Er packte die Frau bei den Armen und hielt sie fest. Seine Miene war so ausdruckslos wie die Klinkerwand hinter ihnen.
»Das ist alles nur deine Schuld!«, schrie die Frau.
Eine Gruppe von Männern stand um das Paar herum, aber keiner versuchte einzugreifen, alle sahen und hörten nur aufmerksam zu. Die Nachrichtenteams am Ende des Blocks, deren Teleobjektive auf die Gruppe gerichtet waren, schien niemand auch nur zu registrieren.
Lucy drängte sich an mehreren uniformierten Beamten vorbei. Die Leute von der Staatspolizei und ihre Pittsburgher Kollegen waren in Zivil und trugen allesamt Anzüge in unterschiedlichen Brauntönen – eine gute Farbe für einen Tatort, denn Braun verbarg fast alles, womit man in Berührung kommen konnte.
Lucy hatte ihre Jeans und ihr zu enges Tanktop gegen eine Khakihose und weiße Laufschuhe eingetauscht. Sie hatte gehofft, bei Megan punkten zu können, indem sie das Twinset anzog, das ihre Tochter ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, auch wenn das Hellblau sie blasser machte, falls die Fernsehteams sie ins Bild bekamen. Was nur einer von vielen Gründen dafür war, dass sie es gar nicht erst so weit kommen lassen wollte.
Obwohl der Sheriff von Allegheny County das FBI zu Hilfe gerufen hatte, dachte Lucy gar nicht daran, sofort auf die Bühne zu stolzieren und den Fall zu übernehmen. Für sie war es wichtiger, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Die hysterische Mutter hatte sich immer noch nicht beruhigt. Aus den verzweifelten Blicken der Polizisten schloss Lucy, dass es wohl schon eine ganze Weile so ging. Sie kämpfte sich zum Mittelpunkt des Geschehens durch, wo drei Männer zusammenstanden, zwei im Anzug und einer in einer mit Orden übersäten Uniform.
»Wer leitet hier den Einsatz?«, fragte sie.
»Ich«, antworteten alle drei gleichzeitig, was ihren Verdacht bestätigte. Totales Chaos.
Die drei Männer starrten sie an. Seit ihrer Ankunft in Pittsburgh war sie wie ein Wirbelwind durch die örtlichen Polizeireviere gefegt, um sich bei sämtlichen einhundertunddreiundzwanzig Dienststellen der Polizei von Pennsylvania vorzustellen, mit der ihre Einheit zusammenarbeiten musste. Einen der Männer erkannte sie wieder: Dunmar vom Revier des Sheriffs von Allegheny County. Ah – der Mann mit den schicken Spielsachen am Revers.
Er und sein Chef waren die einzigen in den Fall verwickelten Polizisten, die in ihr Amt gewählt worden waren. Sie hätte Haus und Hof darauf verwettet, dass er der Mann mit dem guten Draht zu den lokalen Medien war.
»Wie schön, Sie wiederzusehen, Chief Deputy«, sagte sie, streckte ihm die Hand entgegen und setzte ein Lächeln auf. Seiner finsteren Miene entnahm sie, dass die Idee, sie ins Spiel zu bringen, nicht von ihm gekommen sein konnte.
»Ich bin ja so froh, dass Sie es einrichten konnten, Ihr neues Einsatzleitungsfahrzeug herzuschaffen. Das wird uns sicher eine große Hilfe sein.« Sie untermauerte ihre Lüge mit einem noch breiteren Lächeln, bis sie fürchtete, ihr Gesicht könnte jeden Moment zerspringen. Takt, Diplomatie, Teamarbeit – sie war auf diese Männer ebenso angewiesen wie die Männer auf sie.
Ganz zu schweigen von einer vermissten Vierzehnjährigen, die jetzt eigentlich hätte zu Hause sein, Bubblegum-Poprock hören und sich die Fingernägel lackieren sollen. Oder was auch immer Ashley Yeager so tat, um sich in dem großen, bedrohlich über ihnen aufragenden Haus zu amüsieren, das Lucy irgendwie an San Quentin erinnerte.
»Wären Sie vielleicht so freundlich, mich Ihren Kollegen vorzustellen?«
»Äh … ja, natürlich.« Dunmar zeigte mit dem Daumen auf den braunhaarigen Mann im lohfarbenen Anzug zu seiner Rechten. »Don Burroughs von der Pittsburgher Abteilung für Schwerverbrechen, und das hier« – der Daumen drehte sich zu dem Mann mit hellbraunen Haaren in einem braunen Anzug zu seiner Linken – »ist Adam Lowery von der Staatspolizei.«
Dunmar machte keinerlei Anstalten, sie den beiden vorzustellen, fast als glaubte er, dass sie dann wieder verschwand. »Nett, Sie kennenzulernen, meine Herren. Ich bin die leitende Sonderermittlerin Supervisory Special Agent Lucy Guardino von der FBI -Abteilung für Sexualdelikte.«
»Sexualdelikte? Wir brauchen keine –«
Sie unterbrach Lowery. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher