Schlangenblut (German Edition)
stand genug Wasser, um die Wände mit reflektiertem Licht einzufärben.
Ein Mann, der aus einer Tür zu einem anderen Raum hinter dem Becken kam, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Er war gekleidet wie Walter und trug auf beiden Händen eine schwarze Bibel mit Ledereinband. Pastor Henry.
»Hast du das Mädchen gesehen?«, fragte er Walter, während sein Blick nur so lange an Lucy hängen blieb wie an einem Stück Abfall, das der Wind vorbeiwehte.
»Ja. Sie ist im Wagen gut aufgehoben. Ein wahrer kleiner Engel.« Walter stand noch immer an der Tür. Lucy blieb keine andere Wahl, als tiefer in den Raum zu treten, damit er sie schließen konnte. Seine Stimme hatte mit steigender Vorfreude einen leiernden Tonfall angenommen.
»Bevor wir weitermachen, möchte ich klare Verhältnisse«, versuchte Lucy, das Heft in die Hand zu nehmen. »Als Erstes brauche ich das restliche Geld. Wir haben zweitausend Dollar Vorschuss ausgemacht und weitere tausend bei meiner Ankunft.«
»Nur keine Angst, Sie kriegen Ihren Lohn«, versicherte Henry. »Wir wollen nichts weiter als das Mädchen.«
»Wo ist Ihre Kamera?« Lucy blickte sich um. Sie hatte in verschiedener Hinsicht ein seltsames Gefühl. Wollten die sie hereinlegen? Sie schlang die Arme um sich, als wäre ihr kalt, und ließ die Hand in die Jackentasche zu ihrem Revolver gleiten. »Sie haben doch gesagt, Sie wollten nur Fotos machen. So war es ausgemacht. Keine Berührungen.«
»Richtig, das haben wir gesagt«, bestätigte Walter, der noch immer hinter ihr stand und ihr den Weg nach draußen versperrte.
Sie trat zurück, näher ans Becken, um beide gleichzeitig im Blick zu haben. Dabei registrierte sie ein seltsames Vibrieren – sie spürte es mehr, als dass sie es hörte. War das ein Dröhnen in den Rohren? Was auch immer, es gefiel ihr nicht, weil es ihre Konzentration störte, und die hatte sie jetzt bitter nötig.
Die beiden Männer standen an einander gegenüberliegenden Seiten des Beckens. Sie hatte keine Ahnung, wer oder was sich hinter der zweiten Tür verbarg, durch die Henry gekommen war, und versuchte sich so zu positionieren, dass sie sie im Blick behielt. »Oder wollen Sie vielleicht mehr? Das ließe sich arrangieren, falls Sie genug Kohle haben.«
Henrys Grinsen ließ darauf schließen, dass er weit mehr wollte als nur Fotos. Er trat in den Raum, umrundete das Becken und stellte sich neben Walter – zwischen sie und die Tür, durch die sie hereingekommen war.
Das Wasser im Becken schillerte und reflektierte das Licht auf die weißen Wände. Irgendwas stimmte da nicht, denn im Raum war nicht der geringste Luftzug zu spüren – was also bewirkte, dass das Wasser sich kräuselte? Eine Umwälzpumpe? Ging von ihr dieses seltsame Summen aus?
»Was genau wollen Sie?«, fragte sie, fest entschlossen, sich weder von den Spiegelungen jadegrünen Lichts an den Wänden ablenken zu lassen noch von diesem gespenstischen Summen, das ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Die Hände beider Männer waren gut zu sehen, doch in ihren Gesichtern spiegelte sich die gleiche Lüsternheit.
»Wir wollen Katies Seele retten, Schwester Ruby«, erklärte Walter.
Die Tür neben ihr ging auf, und Lucy wirbelte herum. Dazu musste sie dem Becken den Rücken zuwenden – eine Bewegung, die neues Adrenalin und neue Angst freisetzte. Mit dem Becken stimmte etwas nicht. Von ihm schien mehr Gefahr auszugehen als von den beiden Männern.
Eine Frau trat aus dem hinteren Raum und schloss die Tür, bevor Lucy sehen konnte, was dahinter lag. Sie trug ein schlichtes graues Kleid, das fast selbstgeschneidert aussah, und hatte die Hände vor sich gefaltet wie zum Gebet. »Ist sie schon da? Ist mein Baby wieder zu Hause?«
»Was zum Teufel läuft hier ab?«, fragte Lucy, dabei hallte ihre Stimme dröhnend von den Betonwänden wider.
»Pastor Henry und Schwester Norma haben kürzlich ihre Tochter verloren.« Walters Tonfall klang, als müsste er einer besonders begriffsstutzigen Schülerin den Katechismus erklären.
Die hintere Tür ging erneut auf, und heraus kamen noch ein Mann und zwei weitere Frauen. Schweigend harrten sie der Dinge.
Norma schritt weiter auf Lucy zu, das Gesicht nach oben gewandt, als suche sie die Sonne oder die Wahrheit. Was auch immer es war – sie schien davon auszugehen, dass Lucy es hatte. Sie streckte die Hände vor sich aus. »Bitte, wo ist mein Baby?«
»Gute Frau, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Lucy fällte eine Ermessensentscheidung.
Weitere Kostenlose Bücher