Schlangenhaus - Thriller
versorgt wurde. Sie haben ihm sogar erlaubt, sich
eine Schlange als Haustier zu halten. Aber er schien gar nicht mit uns zusammen sein zu wollen. Es hatte keinen Sinn, ihn zu besuchen, also haben wir es nicht mehr getan.«
»Und ist er noch dort? Lebt er noch?«
»Ich hab nie gehört, dass er gestorben wäre, Liebes. Er muss wohl noch am Leben sein.«
41
Es ging auf elf Uhr vormittags zu, als ich die schmale Straße hinauffuhr, die zum Hintereingang des Little Order of St. Francis führt. Nach ungefähr einem halben Kilometer fuhr ich durch ein offenes Tor und parkte Mums Auto dicht neben der Hecke. Dann stieg ich aus, machte das Tor zu und lief die Straße hinauf. Ich hatte noch einen weiteren Kilometer vor mir.
Überall um mich herum war ein Gefühl gigantischer Stille. Der Luftdruck war gefallen, der Vogelgesang war verstummt und selbst die Seevögel hatten Schutz gesucht. Irgendwo gleich hinter dem Horizont sammelten sich schwere Wolken, während die Natur sich gegen einen Sturm wappnete.
Ich kletterte über den Zaun und suchte mir einen Weg über die Wiese, auf der wir Hirsche und Rehe hielten, die sich von Verletzungen und Krankheiten erholten. Dabei überlegte ich, wie mein kleines Team wohl ohne mich zurechtkam. Ich nahm so gut wie nie Urlaub. Und selbst wenn, rief ich normalerweise wenigstens zweimal täglich an. Noch nie zuvor hatte ich mich so lange nicht gemeldet. Um diese Zeit hatten die Mitarbeiter der Klinik bestimmt alle Hände voll zu tun, machten Visite und fütterten die Tiere. Wenn ich Glück hatte, würde mich niemand sehen. Ich hielt mich dicht an der Hecke und strebte auf die Wirtschaftsgebäude hinter der Klinik zu, wo wir zwei Land Rover stehen hatten. Ersatzschlüssel für beide Wagen und für die Garage hingen stets an meinem Schlüsselbund.
Es gelang mir, die Garagentüren zu öffnen, ohne Alarmgeschrei auszulösen. Ich stieg in einen der beiden Geländewagen und ließ den Motor an. Dann fuhr ich aus der Garage und sprang kurz aus dem Auto, um das Garagentor zu schließen.
Solange das Klinikpersonal nicht zu einem Rettungseinsatz gerufen wurde – was nicht jeden Tag vorkam –, würde es niemandem auffallen, dass der Wagen weg war.
Mittlerweile wusste die Polizei bestimmt, dass ich mich nicht mehr im Haus meiner Familie aufhielt. Wenn Dad kooperativ gewesen war – wovon ich ausgehen musste –, dann wussten sie, dass ich Mums altes Auto genommen hatte. Dadurch, dass ich das Fahrzeug gewechselt hatte, war die Gefahr, von einem Streifenwagen angehalten zu werden, kleiner geworden, doch ich musste mich trotzdem auf Nebenstraßen beschränken. Das hieß, dass alles viel länger dauern würde.
Das alte viktorianische Anstaltsgebäude war gewaltig: Roter Backstein erstreckte sich fast hundert Meter weit vor mir. Es stand in einer kleinen Senke, von allen Seiten von niedrigen Hügeln und dunklen Buchenwäldern umgeben. Selbst die sonnigsten Tage würden ihm wenig Licht bringen.
Auf der Herfahrt waren meine Gedanken wie der Inhalt eines Wäschetrockners umeinandergewirbelt, während ich mich bemühte, alles, was ich kürzlich erfahren hatte, richtig einzuordnen. Walter wusste etwas über die Nacht des Kirchenbrandes. Wahrscheinlich würde er es mir niemals freiwillig erzählen, und ich würde es nie im Leben über mich bringen, ihn um Details zu bedrängen, doch er wusste etwas. Das bedeutete, dass es für mich noch mehr herauszufinden gab. Ich musste nur die richtige Anlaufstelle finden.
Irgendetwas hatte mit Edeline nicht gestimmt. Mehr als das freizügige Benehmen, auf das Violet angespielt hatte. Walter hatte von einer Beziehung zwischen Edeline und Archie gesprochen, laut Violet jedoch hatte Edeline es mit allen Witcher-Brüdern getrieben. Was hatte sie noch gesagt? Man wusste nie, aus welchem von den Cottages sie morgens herauskommen würde.
Was für ein merkwürdiges Szenario. Vier Witcher-Brüder: Walter, Archie, Harry und Saul, von denen jeder in einem der
vier Cottages hauste. Edeline war rechtmäßig mit einem der Brüder verheiratet gewesen, hatte jedoch den anderen den Haushalt geführt und auch noch andere, intimere Dienste geleistet. Sexuelle Bedürfnisse mal beiseite, was für eine Frau tat so etwas? Wies das nicht auf eine ziemlich gestörte Psyche hin? Auf mehrere gestörte Psychen?
Was jedoch am allerwichtigsten war, ich hatte erfahren, dass Ulfred tatsächlich existierte. Matts Ermittlungen waren nicht gründlich genug gewesen. Ulfred war ihm glatt durchs Netz
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