Schlangenhaus - Thriller
das nächste Zimmer zu.
»Okay, ich finde, jetzt habe ich mir meine Sporen verdient«, verkündete Matt. »Jetzt kann ich eine Frage stellen. Wie sind so viele Schlangen – wie viele haben wir jetzt, acht Stück, nur von der Treppe und aus einem einzigen Zimmer? – wie sind so viele von den Biestern ins Haus gekommen?«
Das war eine gute Frage. »Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Ringelnattern tun sich wirklich zu Gruppen zusammen, um sich zu paaren. Und zwar so ungefähr um diese Jahreszeit. Sie wachen aus dem Winterschlaf auf und …« Ich hielt inne. Es behagte mir wirklich nicht, mit einem Wildfremden über das Thema Fortpflanzung zu reden, auch nicht über die von Reptilien.
»… machen Party?«, ergänzte Matt versuchsweise. Ich schaute auf die Dielen hinab, doch ich merkte allein an seinem Tonfall, dass er lächelte.
»Vielleicht waren sie einfach unterwegs zu einem von den Bächen und haben sich verirrt.« Ich zwang mich, aufzublicken. »Eine von ihnen ist durch eine offene Tür reingekommen, und die anderen sind ihr einfach gefolgt.«
Er blieb vor dem nächsten Zimmer stehen. »Haben Sie so was schon mal gehört?«
Ich schüttelte den Kopf. »Noch nie.«
Einen Augenblick lang sah er mich an, als wolle er mir noch eine Frage stellen, dann trat er über die Schwelle. Ich folgte ihm. Wir standen im Zimmer des größeren Jungen: unordentlich, bunt, voller Spielsachen und Spiderman-Poster. Mehrere Schubladen standen offen, und Kleidungsstücke quollen heraus. Wir würden über Legosteine und den Inhalt eines Kartons mit Verkleidungssachen steigen müssen.
Zwei junge Schlangen, wahrscheinlich nicht älter als sieben oder acht Monate, wanden sich auf dem Fensterbrett umeinander, und ich ging auf sie zu. Obgleich ich Reptilien studiert und sogar erwogen hatte, beruflich mit ihnen zu arbeiten, waren nicht Schlangen, sondern Echsen meine Favoriten gewesen. Die beiden hier waren allerdings wirklich recht niedlich. Jede war etwa 45 Zentimeter lang und so dünn wie ein Bleistift. Sie hatten die Farbe junger Buchenblätter, mit blanken schwarzen Augen und winzigen, emsigen Zungen.
»Aha, ein Riesenbengel«, ließ sich Matt hinter mir vernehmen. »Ab in den Kissenbezug, mein Freund.«
Ich werde niemals wissen, was mich dazu veranlasste, mich genau in diesem Moment umzudrehen. Matt brauchte nicht beaufsichtigt zu werden. Doch ich drehte mich um. Gerade noch rechtzeitig, um die Schlange zu erblicken, die er packen wollte. Ich schnappte nach Luft; kein Wort kam heraus. Dann versuchte ich es abermals, zwang Laute durch eine Kehle, die sich grauenvoll eng anfühlte.
»Nicht anfassen!«
Verdutzt, aber noch lange nicht erschrocken, wandte Matt sich zu mir um. »Was … was ist denn?«
Die Schlange richtete sich auf, schaute sich träge um und fixierte dann den Mann, der vor ihr stand. Wir sahen ihr zu, während ich mich verzweifelt abmühte, mich daran zu erinnern, was ich vor Jahren über Schuppenzeichnungen und Kopfformen gelernt hatte. Deutliche orangefarbene Streifen zogen sich den Rücken der Schlange hinab. Doch Schuppenfärbungen konnten irreführend sein; man konnte sich niemals auf die Farbe verlassen.
»Treten Sie zurück«, befahl ich. »Einen großen Schritt. Ganz langsam.«
Matt tat wie geheißen. Die Schlange richtete sich noch höher auf und ließ ihn nicht aus den Augen.
»Noch mal. Noch einen Schritt. Langsam.«
Wieder wich er zurück. »Was zum Teufel ist denn? Was …«
»Nicht sprechen.« Meine eigene Stimme versagte mir fast den Dienst. »Gehen Sie weiter rückwärts.«
Die Schlange schwankte zurück und erstarrte. Das war eine klassische Angriffshaltung. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Ich war zwei Schritte von der Tür entfernt, Matt ein wenig weiter. Er machte noch einen Schritt rückwärts, und ich legte ihm die Hand auf die Schulter und zerrte ihn zu mir. Dann zog ich uns beide in die Türöffnung und schob ihn hinter mich. Nicht ein einziges Mal hatte ich den Blick von der Schlange abgewandt.
Und ebenso wenig sie den ihren von uns. Als wir zurückgewichen waren, hatte sie sich entspannt, doch sie war noch immer wachsam. Meiner Schätzung nach war sie etwas über einen Meter lang. Eine Schlange kann schneller zustoßen, als das menschliche Auge zu folgen vermag, allerdings nur auf eine Distanz von ungefähr der Hälfte ihrer eigenen Körperlänge. Fürs Erste waren wir in Sicherheit, doch wenn sich das Tier in Bewegung setzte, mussten wir binnen Sekunden draußen im Flur
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