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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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es ihn in den Fingern juckte, sie aufzumachen, doch er warf einen raschen Blick zu seinem besinnungslosen Besucher hinüber. Noch während ich hinsah, öffnete der Mann die Augen. Er blinzelte zweimal, schaute sich um und setzte sich auf.
    Ich starre nie andere Menschen an, niemals. Schließlich weiß ich nur zu gut, wie ungeheuer unangenehm es sein kann, wenn die Leute einen anglotzen. Doch in dem Moment, als dieser Mann die Augen aufschlug, wusste ich, wer er war, und ich konnte es fast nicht fassen, dass er leibhaftig vor mir stand.
    Er war Anfang bis Mitte dreißig, hatte leuchtend braungrüne Augen und war so tief gebräunt, dass man ihn für einen Nordafrikaner hätte halten können. Sein schwarzes Haar fiel ihm in Dreadlocks bis über die Schultern. Er war groß, gut über eins achtzig. Bekleidet war er mit Jeans, die schmutzig und zerrissen waren, einem ausgeblichenen, blau karierten Hemd, einer zerschrammten Lederjacke und Stiefeln, die aussahen, als wäre er damit fünfzig Kilometer durch den Dschungel marschiert. Was er, wie ich bald herausfinden sollte, auch gerade getan hatte.
    »Clara, das ist Sean North. Sie haben vielleicht schon …«
    Von ihm gehört? Natürlich hatte ich von ihm gehört. Wer in der Reptilienwelt hatte das nicht? Sean North war wahrscheinlich der bekannteste Herpetologe der Welt. Er war Engländer und Ehrenkurator für Reptilien an einigen unserer größeren Zoos, hielt sich jedoch nur selten im Lande auf. North bereiste den ganzen Planeten, für gewöhnlich mit einem Fernsehteam, und war stets auf der Suche nach den seltensten und – typischerweise – gefährlichsten Reptilien, um sie zu erforschen und zu filmen. Seine Spezialität waren Giftschlangen, doch ich hatte auch faszinierende Dokumentationen gesehen, die ihn mit Waranen, Krokodilen und Chamäleons zeigten. Seine
Filme waren sensationell: Seine Fähigkeit, auch die scheuesten Geschöpfe aufzuspüren, war legendär und sein Mut beim Umgang mit gefährlichen Spezies war schlicht Ehrfurcht gebietend. Er schien keine Angst zu kennen, setzte wieder und wieder in einigen der unwirtlichsten Gegenden der Erde sein Leben aufs Spiel. Er war ein Genie. Außerdem war er, wie einer meiner Kollegen es einmal ausgedrückt hatte, vollkommen durchgeknallt.
    North streckte mir die Hand hin. Unfähig, in meinem Kopf irgendetwas zu finden, was ich sagen könnte, ergriff ich sie. Sie fühlte sich ledrig an, zerkerbt und von Bissen und Kratzern vernarbt.
    »’tschuldigung«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen. »Langer Flug.«
    »Sean ist heute Morgen angekommen«, erklärte Roger. »Ich wusste, dass er heute aus Indonesien zurückkommt, also habe ich eine Nachricht auf seinem Handy hinterlassen, und er ist auf dem kürzesten Weg hergefahren. Mir ist niemand Besseres eingefallen.«
    Mir fiel auch niemand ein. Ich wünschte mir nur, ich würde seine physische Gegenwart nicht so einschüchternd finden.
    Mittlerweile völlig wach, hob North die Kiste mit dem Taipan an, prüfte ihr Gewicht und lauschte auf die Geräusche, die aus dem Innern kamen. Dann stellte er sie auf den Tisch und öffnete die Verriegelung. Roger, der sehr dicht daneben gestanden hatte, trat einen Schritt zurück. Als ich rasch über die Schulter hinter mich schaute, sah ich mehrere Gesichter, die uns durch das Fenster zum Flur beobachteten. North hob den Deckel so weit an, dass ein kaum drei Zentimeter breiter Spalt entstand. Ich hielt den Atem an. Und wenn die Schlange nun vollkommen ungefährlich war? Als was für eine Vollidiotin würde ich dann dastehen? Sean North – Sean North, um Himmels willen! – war, erschöpft und von einem gewaltigen Jetlag gebeutelt, bis nach Bristol gezerrt worden, um einen Blick auf ein harmloses Haustier zu werfen.

    »Ein Baby!«, strahlte North. »Hast du mal eine Zange, Roger?«
    Roger reichte ihm eine Schlangenzange, und unter völliger Missachtung der Tatsache, dass Taipane springen können, hob North den Deckel von der Kiste und griff mit der Zange hinein. Dann zog er sie heraus, die Schlange sicher um den Nacken gefasst.
    »Wow!« Roger stieß einen leisen Pfiff aus. »Ist der Bursche nicht schön?«
    Bei Tageslicht und in kundigen Händen, die nicht meine waren, war die Schlange wunderschön. Sie schimmerte in einer Farbe, die zu dunkel war, um Silbergrau zu sein, aber zu hell für Stahlgrau, und der kupferfarbene Streifen zog sich leuchtend über ihren gesamten Körper. Ihre Augen sahen aus wie lebendige Topase; die runden

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