Schlangenhaus - Thriller
darauf ein. »Scheint trotzdem eine komische Berufswahl für eine Reptilspezialistin zu sein. Würden Sie nicht lieber in einem von den großen Zoos arbeiten?«
Was ist eigentlich mit manchen Leuten los? Wie kommen sie bloß auf die Idee, im Privatleben wildfremder Menschen herumzustochern? Natürlich hat man mir diese Frage schon öfter gestellt, und normalerweise murmele ich dann, dass es nicht viele Stellen für Zooveterinäre gibt, oder etwas in der Art. Sean North würde diese Riesenlüge natürlich sofort als eine solche erkennen. Was möglicherweise der Grund dafür war, dass ich mir diesen Moment aussuchte, um die Wahrheit zu sagen. Ich drehte mich um und schaute ihm direkt ins Gesicht.
»Das habe ich auch mal eine Weile gemacht. Ich habe in Chester gearbeitet. Ich war’s nur leid, mir selbst wie eins von den Exponaten vorzukommen.« Damit nahm ich meinen Kaffee, verließ die Küche und ließ die Tür hinter mir zufallen. Es kümmerte mich eigentlich nicht, ob er sie ins Gesicht bekam.
Super, dachte ich, während ich durch den Flur ging. Neben allem anderen habe ich es mir gerade mit dem wahrscheinlich einflussreichsten Menschen in meiner Branche verdorben.
Im Untersuchungszimmer hatte Roger Bücher auf dem ganzen Tisch verstreut. Er blätterte genauso zwischen Unterlagen und Buch hin und her, wie ich es gestern getan hatte. Ich hoffte nur, dass er zu einem sinnvolleren Schluss kam. Ein paar Sekunden später sah es so aus, als würde ich enttäuscht werden.
»Es ist Kreuzottergift, da bin ich mir sicher«, sagte er. »Das
Zeug weist keins von den Merkmalen auf, die man bei Elapidae erwarten würde. Das war das Erste, was ich überprüft habe, für den Fall, dass das hier ein Taipanbiss war, aber es ist keiner.«
»Schau mal, Sean«, sagte Roger. North saß auf dem Edelstahltresen und schluckte schwarzen Kaffee, als sei er nicht brühheiß. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Gift nicht von einer Grubenotter stammt; es weist ein paar Charakteristika auf, die Ähnlichkeit mit Klapperschlangengift haben, aber …«
»Lass gut sein, Roger«, brummte North. »Der Hämatologe hat vollkommen recht. Das Gift stammt von einer Kreuzotter.«
»Die gemeine Kreuzotter produziert aber kein Gift von der Konzentration, wie man sie in der Blutprobe festgestellt hat«, wandte ich ein und vergaß, dass ich mich über ihn geärgert hatte.
»Stimmt«, erwiderte er. »Ich bin übrigens froh, dass Sie wieder mit mir reden.«
Roger ließ einen raschen Blick von North zu mir und wieder zurück wandern. »Also reden wir von …«
»Entweder von einer sehr großen Mutantenotter mit einem Giftpotenzial, das ungefähr mit dem von zehn gewöhnlichen Schlangen vergleichbar ist, was ehrlich gesagt etwas unwahrscheinlich ist, oder von multiplen Bissen von mehr als einer Schlange«, meinte North.
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte ich. »Ich habe extra danach gefragt. Es war nur ein Biss.«
»Kreuzottern sind dafür bekannt, dass sie manchmal nur mit einem Zahn zubeißen. Vielleicht sind die anderen Bissstellen übersehen worden. Oder sie wurden mit großflächigen Hämatomen verwechselt.«
Daran hatte ich nicht gedacht, doch er hatte recht. Die Fangzähne einer Viper sitzen vorn im Maul auf einem Oberkieferknochen, der vor- und zurückgedreht werden kann. Wenn die Fangzähne nicht benutzt werden, klappen sie, von einer Membran umhüllt, an den Gaumen zurück. Jeder Fangzahn
kann jeweils unabhängig vom anderen nach vorn gedreht werden. Ich verspürte ein Aufwallen der Erregung. Das musste die Antwort sein. Natürlich konfrontierte uns das mit der wenig reizvollen Möglichkeit, dass ungefähr ein Dutzend Kreuzottern den Weg in John Allingtons Garten gefunden und ihn gleichzeitig angegriffen hatten. Das wäre tatsächlich eine seltsame Laune der Natur.
In diesem Augenblick klingelte mein Handy. Ich entschuldigte mich und ging hinaus auf den Flur. Was ich zu hören bekam, stimmte mich nicht eben fröhlicher. Ich wehrte mich zwei Minuten lang mit Händen und Füßen, brachte den mittlerweile ziemlich abgenutzten Einwand vor, dass ich mich wirklich nicht genug auskannte, um helfen zu können, dass andere bestimmt viel besser qualifiziert seien. Dann gab ich nach und willigte ein, mich sofort auf den Weg zu machen. Ich beendete das Gespräch und ging wieder zu den beiden Männern hinein.
»Roger, es ist etwas passiert, ich muss los«, sagte ich, als die beiden sich zu mir umdrehten. »Was ist mit dem Taipan? Kann ich ihn
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