Schlangenhaus - Thriller
zugänglich und würde sich leicht ohne Haken fangen lassen. Dieser hier bekam wahrscheinlich monatelang kaum je ein menschliches Wesen zu sehen.
»Ich versuch’s erst mal mit der Hand«, entschied ich. Hinter mir konnte ich spüren, wie Craig und Simon einen Blick wechselten.
»Fertig?«, fragte ich Craig scharf.
Ich stieg ins Wasser und ging auf den Schwan zu. Als ich knapp zwei Schritte von ihm entfernt war, warf ich ihm ein paar Brotstückchen hin, die ich in der Tasche bereitgehalten hatte. Hungrig streckte der Schwan den Kopf vor und machte sich darüber her. Ich ließ ihn zu Ende fressen und warf ihm dann noch mehr hin, wobei ich näher kam. Am Ufer näherte sich Craig ebenfalls. Als ich dicht genug an ihm dran war, trat ich vor, packte den Schwan mit der rechten Hand am Hals und hob ihn hoch, wobei ich beide Flügel gegen meinen Körper drückte. Er wehrte sich kurz, drehte den Kopf zu mir herum, doch ich hatte ihn fest im Griff. Nach ein paar Augenblicken beruhigte er sich.
»Nicht schlecht!«, brummte Craig, der jetzt neben mir ins Wasser glitt. Wieder begann der Vogel zu zappeln, war noch immer außer sich, doch ein Schwan, der so festgehalten wird, ist mehr oder weniger hilflos. Was man natürlich nicht tun sollte, ist, den Kopf loslassen, sonst fehlt einem vielleicht plötzlich ein Auge. Jetzt kam Simon herbei und ging am Ufer tief in die Hocke.
»’ne Angelschnur«, verkündete er. »Hat sich mehrmals um
sein rechtes Bein gewickelt und hängt an irgendwelchen Wurzeln fest. Das Bein blutet. Möglicherweise gebrochen, ist aber schwer zu sagen. Oh, und da steckt was drin, das aussieht wie ein Angelhaken.« Er packte die Schnur mit der Drahtschere und schnitt den Schwan los.
Als wir wieder am Ufer waren, hielt Simon den Käfig bereit, und wir setzten den Schwan hinein. Wir würden ihn in die Klinik mitnehmen, seine Verletzungen behandeln und ihn dann genau hier wieder freilassen, einen Tag später oder so.
Es war nicht genug Platz für uns alle und den Schwan im Boot, also paddelten Simon und Craig mit dem Käfig zurück. Ich wollte sehen, ob Simon recht gehabt hatte und ich wirklich auf einer Insel stand. Also ging ich ein paar Meter weit, suchte mir einen Weg um mehrere Büsche und ein paar Haselnussbäumchen herum und stellte fest, dass Simon richtig gelegen hatte. Der Nebenarm, den ich vor mir sah, war nicht viel breiter als zwei Meter. Weiden neigten sich darüber und bildeten einen dunklen, langsam dahinfließenden Wassertunnel. Algen und Schaum sammelten sich zwischen Baumwurzeln. Am gegenüberliegenden Ufer konnte ich Rattenlöcher ausmachen, bevor das Gelände steil zum Dorf hin anzusteigen begann.
Hinter mir konnte ich Craig und Simon herumblödeln hören, als sie das heimatliche Ufer erreichten. Ich machte mich daran, dem Nebenarm flussabwärts zu folgen; ich war neugierig, wie lang diese Insel wohl war.
Ich ging gut zwanzig Meter weit. Das Unterholz am anderen Ufer war dichter und höher geworden, ich konnte kaum den Hügel dahinter erkennen. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, um nicht zu stolpern, und hielt Ausschau nach Otterbauen. Dieses stille Plätzchen war genau das Richtige für sie.
Irgendetwas an der Strömung des Nebenarmes war nicht ganz so, wie es sein sollte.
Bis zu der Stelle, wo ich stand, war er träge dahingeströmt, von im Laufe von Jahrzehnten aufgehäuftem Schlick, überwucherten
Baumwurzeln und faulenden Pflanzen gehemmt. Das Wasser jedoch, das ich jetzt vor mir sah, floss schnell. Und es schien beinahe aus einer anderen Richtung zu kommen. Keine drei Meter von mir entfernt ließen am gegenüberliegenden Ufer ein paar Weiden ihre Äste ins Wasser hängen. Es war unmöglich, zu sehen, was dahinter war. Doch unter den im Wasser schleppenden Zweigen hervor veränderte der Wasserlauf ein wenig seine Richtung. Ich machte einen Schritt das Ufer hinunter, wollte ausprobieren, wie tief der Kanal war, und sehen, ob ich hinüberwaten konnte.
Eine zischendes, flatterndes Ungetüm mit weißen Federn tauchte aus dem überhängenden Uferdickicht auf und ging auf mich los. Ich hatte das Nest des Schwans gefunden, und auch seine erboste Gemahlin. Hastig krabbelte ich das Ufer wieder hinauf, hörte Simon meinen Namen rufen und ging zurück dorthin, wo er wartete, um mich über den Fluss zu rudern.
Gegen Ende des Vormittags wechselte ich gerade den Verband eines jungen Hasen mit einem schlimm aufgerissenen Bein, als Harriet mit dem Telefonhörer in der Hand am
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