Schlangenhaus - Thriller
fünf.«
Ich verbarg ein Lächeln. Bennie war mindestens zwölf. Ich streichelte ihn, fuhr mit der Hand über Rücken und Bauch und strich an allen vier Beinen hinunter. Sein Bauch war aufgebläht, ansonsten war er mager.
Wieder begann Bennie zu husten.
»Wie lange hustet er schon?«, versuchte ich es.
Violet starrte mich verwirrt an, als wäre ich eine Lehrerin, die gerade eine anspruchsvolle und nicht ganz faire Frage gestellt hatte.
»Letzte Woche hatte er Husten«, antwortete sie schließlich. »Ich habe ihm etwas von meinem Butterblumensirup gegeben.«
Ich holte mein Stethoskop hervor und hörte kurz Bennies Herz ab. Der Herzton war nicht in Ordnung.
»Frisst er gut?«, erkundigte ich mich.
»Oh, sein Fressen, das liebt er, unser Bennie. Hatte schon immer einen gesegneten Appetit.«
Ich betrachtete den Terrier noch einmal. Abgesehen von dem aufgetriebenen Bauch bestand er nur aus Haut und Knochen. Genauso gut hätte ich den Hund befragen können, so verlässlich waren die Antworten der alten Frau. Außerdem war
ich mir ziemlich sicher, was ihm fehlte. Und dass ich wirklich das Thema Einschläfern zur Sprache bringen sollte. Nur hielt ich das nicht für machbar. Schon nach zehn Minuten in Violets Gesellschaft war mir klar, dass der Hund ihr Ein und Alles war. Es war alles so ganz anders, als einen kranken Fuchs zu behandeln.
»Was würde ich nur ohne meinen Bennie machen?«, murmelte Violet vor sich hin, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
Ja, was? Doch ich hatte das Gefühl, dass sie das sehr bald herausfinden würde. Bennie, dessen war ich mir so gut wie sicher, litt an einer chronischen Herzinsuffizienz. Wird so etwas rechtzeitig bemerkt, kann man es medikamentös behandeln. Bennie jedoch war einfach zu alt, und er war schon zu lange krank.
»Violet, er braucht jetzt Ruhe. Morgen kann ich ihm eine Spritze geben, mit einem Mittel, das Frusemide heißt. Das ist ein Diuretikum.« Verständnisloser Blick. »Das treibt viel von der Flüssigkeit raus, die in seinem Körper festsitzt, und hilft seinem Herz bei der Arbeit«, versuchte ich es von Neuem. »Es ist möglich, dass es ihm dann besser geht. Wenn nicht …«
Ich wusste nicht genau, wie viel sie mitbekam, und ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass die größte Gefahr für Bennie darin bestand, dass Violet seinen Zusammenbruch morgen früh vergessen hatte und versuchen würde, mit ihm Gassi zu gehen.
Ich stemmte mich hoch. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte mir, dass immer noch Zeit für die Laufrunde war, die ich heute Morgen verschlafen hatte.
Und doch, wie konnte ich Violet allein lassen, voller Sorge und in Mantel und Mütze vor Kälte zitternd? Ich erbot mich, Tee zu kochen, und sie nahm den Vorschlag so eifrig an, dass mir klar war, ich würde hier erst einmal nicht wegkommen.
Violets Küche hatte eine Speisekammer, doch die hölzernen Regale waren staubig und fast leer. Ich fand eine Packung Teebeutel,
eine kleine Tüte mit Zucker und eine Milchtüte, die nicht allzu frisch aussah. Anscheinend ernährte sie sich aus Dosen. Ich fragte mich, wann und ob sie wohl jemals etwas Frisches zu sich nahm, und wo sie dergleichen überhaupt herbekommen sollte. Im Dorf gibt es einen Laden, der zugleich als Postamt dient; dort werden Brot, Milch, Eier und Butter verkauft, alles andere jedoch bekommt man entweder getrocknet oder als Konserve. Ohne Auto und ohne Bus war es Violet nicht möglich, das Dorf zu verlassen. Bestimmt hatte sie keine Verwandten, sonst hätten die sie niemals so vernachlässigt, dass sie auf einen Hund und das gelegentliche Mitleid Wildfremder angewiesen war.
Als ich ihr den Becher reichte, fiel mir wieder ein, wo ich sie schon einmal gesehen hatte. An jenem Abend vor drei Tagen war sie bei der Dorfversammlung gewesen. Sie hatte mit vier anderen zusammengesessen, alle ebenso betagt wie sie; einer davon, das wusste ich jetzt, war Ernest Amblin gewesen. Sie hatten nichts gesagt, aber aufmerksam zugehört.
»Violet, darf ich Sie etwas fragen?«
Sie beugte sich vor und sah plötzlich wacher aus.
»Ich versuche die ganze Zeit, mich zu erinnern, wann Walter Witcher gestorben ist«, fuhr ich fort. »Walter, der in dem Haus unten im Dorf gewohnt hat. Das Haus, das früher mal vier einzelne Cottages war.«
Irgendetwas in Violets Gesicht veränderte sich; ihr Blick huschte von mir fort und richtete sich auf den Boden.
»Vier Cottages«, zischte sie beinahe. »Wir haben uns gefragt, warum sie sich die Mühe gemacht
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