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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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bückte ich mich und fasste die alte Frau sanft unter den Armen. Obwohl es ein warmer Abend war, trug sie einen dicken Mantel und eine rote Wollmütze. Irgendwo hatte ich sie schon mal gesehen. Ich erinnerte mich an die rote Mütze, nur nicht mehr an den Anlass.
    Sie stöhnte leise, doch ich nahm nicht an, dass sie verletzt war: bloß alt, steif und unbeweglich. Ich brachte sie zum Auto, was nicht einfach war, weil sie ihren Hund nicht eine Sekunde lang allein lassen wollte, doch schließlich hatte ich sie wohlbehalten im Wagen untergebracht. Dann ging ich zu dem Hund zurück. Seine Leine war noch am Halsband befestigt. Ich nahm sie und wickelte sie als provisorischen Maulkorb sanft um seine Kiefer.
    »Was machen Sie denn da? Seien Sie vorsichtig!«, rief die Frau und lehnte sich gefährlich weit aus der Autotür.
    »Ich tue ihm nichts, ich bin Tierärztin«, rief ich zurück. Der Hund wog so gut wie nichts, und ich trug ihn zum Auto und legte ihn der Frau auf den Schoß. Wieder begann sie, leise auf ihn einzureden, und ich hatte alle Mühe, sie dazu zu bringen, mir ihren Namen zu verraten – Violet Buckler – und mir zu sagen, wo sie wohnte. Dann fuhr ich die paar hundert Meter bis zu ihrem Cottage in der Carters Lane.
    Mit Bennie auf den Armen folgte ich Violet in ihr Haus – und zurück in vergangene Zeiten. Ein langer, schmaler Flur, mit abblätterndem Linoleum auf dem Boden und gemusterter Tapete, fleckig vor Feuchtigkeit. Wir kamen an einer geschlossenen Tür vorbei, und dann öffnete Violet eine weitere Tür am anderen Ende des Flurs. Ich folgte ihr in einen altmodischen Raum, der gleichzeitig als Küche und als Wohnzimmer diente. An der hinteren Wand, zu einer Seite der Hintertür, war ein tiefes Spülbecken mit einem schmuddeligen geblümten Vorhang darunter. Auf der anderen Seite der Tür stand ein Elektroherd, der älter sein musste als ich. Einer der
Gasringe war abgenommen worden und hatte ein klaffendes Loch hinterlassen, in dem sich die Speisereste von Jahren gesammelt hatten. In einem Küchenschrank aus Resopal stand eine bunt zusammengewürfelte Geschirrsammlung, das meiste davon angeschlagen oder zerkratzt. Außerdem gab es in dem Raum zwei Sessel – auf keinem davon hätte ich gern gesessen –, einen Klapptisch an einer Wand und einen arg zerkauten Hundekorb aus Plastik.
    Ich kniete nieder und legte Bennie auf einen abgetretenen Läufer vor dem Elektrokamin. Dann murmelte ich, dass er es warm haben müsse, schaltete den Ofen an und wandte mich wieder Violet zu. Soweit ich es beurteilen konnte, war die alte Frau nicht viel besser dran als ihr Hund. Sie zitterte sichtlich, und ich fragte mich, ob sie möglicherweise drauf und dran war, in einen Schockzustand zu geraten. Mit dem Hund kam ich zurecht, verstörte alte Nachbarinnen waren schon schwieriger.
    »Mrs. Buckler, Sie sollten sich hinsetzen.« Ich sprang auf. »Ich mache Ihnen gleich eine Tasse Tee, aber wahrscheinlich sollte ich mir zuerst Bennie anschauen. Geht es fürs Erste?« Sie antwortete mir nicht, schien nicht zu bemerken, dass ich ihr den Mantel aufknöpfte und sie behutsam auf einen der Sessel niederdrückte. Der elektrische Kaminofen war nicht besonders stark, und es war immer noch ausgesprochen kühl im Zimmer. Ich versuchte gar nicht erst, ihr den Mantel auszuziehen oder die Mütze abzunehmen. Wo hatte ich diese Mütze schon einmal gesehen?
    »Glauben Sie, ich sollte einen Tierarzt anrufen?«, fragte sie, wobei sie den Blick nicht einen Moment von dem Hund abwandte. »Da gibt es einen Tierarzt in Honiton, bei dem war ich mal, kurz nachdem Jim gestorben war, aber der war so teuer.«
    »Ich bin Tierärztin«, sagte ich, kniete von Neuem nieder und öffnete meine Tasche. Dann wandte ich mich wieder zu ihr um und rang mir ein Lächeln ab. »Nachbarn berechne ich nichts.«

    »Tierärztin, sagen Sie«, wiederholte Violet. »Man kommt so schlecht zu einem von den Tierärzten in der Stadt. Der Bus fährt nicht mehr.«
    »Ist es Ihnen recht, wenn ich ihn untersuche?«
    Ihre Augen wurden feucht. »Würden Sie das tun, Liebes?«, brachte sie heraus.
    Ich wandte mich ab und konzentrierte mich auf meinen Patienten. Der Hund lag hechelnd vor dem Feuer. Das trübe Aussehen seiner Augen gefiel mir gar nicht, auch nicht die feucht-kühle Haut. Ich brauchte kurz, um seinen Puls zu finden. Sehr schwach. Dann nahm ich nacheinander jede Pfote in die Hand. Alle kalt.
    »Wie alt ist er, Violet?«
    »Ach, ich weiß nicht mehr genau. Vier oder

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