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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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umgebenden Hügel. Es war, als befände man sich in einem Kokon aus Holz und Blättern, abgeschnitten von der Außenwelt.

    Raben nisteten in den meisten der höheren Bäume; eigentlich hätten sie sich allmählich zur Ruhe begeben sollen, doch meine Ankunft hatte sie aufgescheucht. Mit rauen Schreien umkreisten sie die Kirche. Ganz kurz überlegte ich, ob ich bei Tageslicht wiederkommen sollte, doch ich wusste genau, dass ich niemals die Zeit dafür finden würde. Also machte ich mich auf die Suche nach neueren Grabsteinen.
    Edeline Witchers Beerdigungsgottesdienst war in einem Nachbardorf abgehalten worden, ihren Leichnam jedoch hatte man zur Beisetzung hierher gebracht. An diesem Teil der Begräbnisfeierlichkeiten hatte ich nicht teilgenommen, ich war in der Klinik gebraucht worden und hatte ihr Grab nie gesehen. Warum ich das Bedürfnis verspürte, es ausgerechnet an diesem Abend ausfindig zu machen, weiß ich nicht. Vielleicht dachte ich, in ihrer Nähe zu sein, würde mir helfen, mich daran zu erinnern, was genau sie über den Tod ihres Mannes gesagt hatte. Vielleicht hoffte ich, Walter doch hier zu finden.
    Nach ein paar Minuten ließen die Raben sich wieder nieder, und Stille senkte sich herab, während ich den Friedhof durchstreifte und nach Mitgliedern der Familie Witcher suchte. Zweimal fand ich auf Steinen, die zu Anfang des 19. Jahrhunderts behauen worden waren, Hinweise auf Menschen, bei denen es sich wohl um Walters Vorfahren handeln musste, doch es dauerte fast zwanzig Minuten (ich war schon drauf und dran, aufzugeben, es war fast dunkel), bis ich eine kleine Holztafel fand, auf der Edelines Name und ihr Geburts- und Todesdatum standen. Sonst war nichts zu sehen – keine liebevollen Botschaften teurer Hinterbliebener, kein Tribut an ihren Charakter. Ich hatte Edeline nicht gemocht, doch ich fand es trotzdem furchtbar traurig, dass ihr Dahinscheiden so wenig beachtet worden sein sollte.
    Keine Spur von einem Grab, das Walters Namen trug. Ich wollte schon zum Tor zurückgehen, als ich abermals den Namen Witcher entdeckte, auf einem kleinen Stein, drei Meter von Edelines Tafel entfernt. »Harry Witcher«, stand dort,
»1930–1982.« 1930. Harry hatte zur selben Zeit gelebt wie Walter; ein jüngerer Bruder, möglicherweise ein Cousin. Und Violet hatte doch einen Harry erwähnt, oder nicht? Harry, der bei einem Zugunglück ums Leben gekommen war. Sie hatte auch von jemand anderem gesprochen – Alfred? Arthur?
    Ich ging auf den hinteren Teil des Friedhofs zu, und betrachtete dabei die Grabsteine. Als ich den entferntesten Winkel des Kirchhofs erreicht hatte, fand ich eine letzte kleine Gräberschar, die es zu überprüfen galt: Vier Steine, an und für sich klein und unauffällig, jedoch durch einen Ring aus struppigen Holunderbüschen vom Rest des Friedhofs abgeteilt. Ich drängte mich durch das Gebüsch und machte mich daran, die Inschriften zu lesen.
    Alle vier Steine kennzeichneten die Gräber junger Männer, die 1958 gestorben waren. Zwei von ihnen am selben Tag, dem 15. Juni; der dritte zwei Tage später am 17., und der letzte am 18. Juni.
    Mit wachsendem Interesse erinnerte ich mich daran, dass Violet von 1958 gesprochen hatte. Archie. Das war der Name gewesen. Sie hatte etwas davon gesagt, dass Archie in der Kirche Gottesdienste abgehalten hatte, bis 1958. Ich war davon ausgegangen, dass sie verwirrt war, und hatte nicht weiter darauf geachtet. Bis sie Schlangen erwähnt hatte. Was hatte sie noch mal gesagt? Sie seien im englischen Winter alle eingegangen?
    Einen Augenblick lang überlegte ich, ob wohl irgendjemand 1958 Taipane nach England gebracht hatte. Doch die Tiere waren damals in Australien gerade erst entdeckt worden. Das erschien mir nicht plausibel. Und selbst wenn, war es auch nur im Entferntesten möglich, dass ein paar überlebt hatten? Dass es im ländlichen Dorset eine Kolonie heimisch gewordener Taipane gab, die hier lebten und sich vermehrten?
    »Tropische Schlangen können nicht in einem kalten Klima leben«, murmelte ich halblaut vor mich hin und fragte mich, ob ich mir da wirklich so sicher war.

    Ich bückte mich, um die vier Grabsteine abermals zu betrachten. »Reverend Joel Morgan Fain«, stand auf dem ersten, »dem Feuer anheimgefallen am 15. Juni 1958. ›Und er wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet.‹« Ich warf einen raschen Blick auf die von den Flammen verheerte Kirche, dann wandte ich mich dem zweiten Stein zu. »Larry Hodges«,

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