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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Clive Ventrys Haus wieder ein. Der hochgewachsene Mann, den anscheinend nur Clive und ich auf der Galerie im Obergeschoss gesehen hatten.
    »Ist das Entkoffeinierter?«, fragte Matt in einem Tonfall, wie man ihn vielleicht anschlagen würde, wenn man argwöhnt, dass jemand einem Drogen ins Glas schütten will.
    »Ja. Tut mir leid, haben Sie noch ein paar Stunden Papierkrieg vor sich? Sind Sie deswegen so spät noch auf?«
    »Großer Gott, nein, ich halte mich streng an die Dienstzeiten. Abends schreibe ich meistens an meinem Roman.«
    Ich dachte, ich hätte mich verhört. »An Ihrem was?«
    Zwei graue Augen strahlten mich an, und ich glaubte nicht, dass ich sie länger als eine Sekunde würde ansehen können. Ich wandte ihm den Rücken zu und konzentrierte mich stattdessen auf den Schalter des Wasserkessels.
    »Eine historische Liebesgeschichte«, erklärte Matt. »Vor dem Hintergrund des Burenkrieges. Zwei junge Mädchen aus Shropshire melden sich freiwillig als Krankenschwestern.«
    »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen«, brummte ich über die Schulter hinweg.
    »Möchten Sie ihn mal lesen?«
    Das Wasser hatte gekocht. Ich goss zwei Becher voll und riskierte
es, ihn anzusehen. »Sie sind ein sehr sonderbarer Mann«, hörte ich mich sagen.
    Er lachte und sah mir immer noch unverwandt in die Augen. »Das sind die Besten immer. Und Sie müssen gerade reden.«
    Es war wie ein Schmerz, der jähe Schock der Realität. Ich hatte es beinahe vergessen. Hatte mir beinahe vorgemacht, ich wäre nicht… Ich schaute weg und fühlte, wie sich meine Zähne aufeinanderpressten, meine Lippen sich verzogen.
    »Ach, jetzt werden Sie nicht gleich sauer«, sagte Matt. »Ich rede doch gar nicht von Ihrem Gesicht.«
    Ich wünschte mir so sehr, ihn zu verdrängen, ihn nicht nur zu ignorieren, sondern ihn völlig von meinem Radarschirm zu löschen, wie ich es früher so oft getan hatte, wenn die Menschen nicht fähig waren, meine Grenze zu respektieren. Es ging nicht. Ich ertappte mich sogar dabei, dass ich ihn ansah.
    »Wovon dann?«
    »Na, wie wär’s mit der mutigsten Frau, der ich jemals begegnet bin und die knallrot wird und zusammenzuckt wie ein überzüchteter Windhund, sobald jemand sie anspricht? Die den Körper einer Olympia-Athletin hat und in Klamotten rumläuft, in denen meine Tante Mildred nicht mal tot über dem Zaun hängen würde? Trinken wir diesen Kaffee eigentlich, oder lassen wir uns nur von dem Dampf die Poren reinigen?«
    Ich hielt ihm einen Becher hin. Er trat auf mich zu und nahm ihn, wich jedoch nicht wieder zurück. Ich richtete den Blick starr auf den dritten Knopf seines Hemdes.
    »Sie wohnen seit vier Jahren hier, und ich wette, von Ihren Nachbarn kennen Sie nicht mehr als ein halbes Dutzend mit Namen. Jeder von denen wäre gern mit Ihnen befreundet, aber Sie interessieren sich mehr für Igel. Und trotzdem haben Sie heute fast fünfzig Pfund für Medikamente und Futter für einen Hund ausgegeben, der wahrscheinlich noch diesen Monat stirbt.«

    Er lehnte sich gegen den Tresen, noch immer sehr viel näher, als es mir angenehm gewesen wäre. Woher wusste er das alles über mich? Wieder von Sally?
    »Wissen Sie, Sie sollten Ihrer eigenen Spezies wirklich eine Chance geben«, meinte er.
    Ich sah noch immer den Knopf an.
    »Jetzt sind Sie böse auf mich.«
    »Nein.« Tatsächlich war ich verblüfft. Soweit ich mich erinnern konnte, war dies das erste Mal, dass irgendjemand – und noch dazu ein Mann – genauer hingeschaut hatte als nur bis in mein Gesicht. Und irgendwann in den letzten paar Sekunden hatte ich aufgeblickt.
    »Und Ihre Augen haben dieselbe Farbe wie Buchenblätter im Oktober. Aber Sie lassen nie jemanden hineinsehen.«
    Womit wir wieder beim Gesicht waren. Warum lief es nur immer wieder auf das Gesicht hinaus? Wieder runter mit dem Blick, es war so viel ungefährlicher, seinen Hemdknopf anzustarren.
    »Es ist spät«, sagte er. Er sah sich in der Küche um, fand Papier und Stift und schrieb etwas auf. »Das sind meine Telefonnummern«, erklärte er. »Festnetz, Handy und meine Durchwahl bei der Arbeit. Wenn noch irgendetwas passiert, rufen Sie mich sofort an. Nicht das zuständige Revier, sondern mich. Okay?«
    Ich nickte, obgleich ich wusste, dass ich das niemals tun würde.

    Manchmal – in den letzten Jahren nicht mehr so oft (ich hatte gelernt, sehr streng mit mir zu sein) – sitze ich vor dem Spiegel. Ich dämpfe das Licht und drehe den Kopf so, dass die schwer vernarbte linke Seite

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