Schlangenhaus - Thriller
gehen. Doch Sean sah mich nicht einmal an. Er ließ den Blick über die Eschen schweifen, die an jener Stelle, die er als acht Uhr bezeichnet hatte, dicht beieinander wuchsen. Wortlos gingen wir zu dem Pfad zurück, und als wir ihn erreichten, sah
ich eindeutig eine Bewegung zwischen den dichten Büschen. Etwas, das aussah wie dunkler Stoff, huschte davon.
»Bleiben Sie hier«, sagte Sean leise und trabte langsam los, dorthin, wo auch er die Bewegung bemerkt haben musste. »Vorsicht, Kumpel«, rief er, als er sich dem Dickicht näherte. »Genau da ist ein versteckter Felseinbruch. Bleiben Sie, wo Sie sind.« Er rannte zwischen die Bäume und verschwand, ließ mich allein auf dem Undercliffpfad zurück. Es war merklich kühler geworden, und Wind kam auf. Ich hatte keine Jacke mitgebracht. Beklommen wartete ich darauf, dass Sean wieder auftauchte. Ich überlegte, was ich tun würde, wenn er nicht zurückkam. Dann, nur Minuten später, war er wieder da, schritt rasch zwischen den Bäumen hindurch.
»Tut mir leid«, brummte er, als er näher kam. »Falscher Alarm.«
»Niemand da?«, fragte ich.
»Freizeitbotaniker«, meinte er. »Ein älterer Amerikaner. Hat nach Knabenkraut gesucht. Ich glaube, ich habe ihn ein bisschen erschreckt.«
»Sie haben mich ein bisschen erschreckt.«
»Entschuldigung, tut mir leid. Es ist nur, wenn ich arbeite, was ich die meiste Zeit tue, dann muss ich mich vollständig auf meine Instinkte verlassen. Gelegentlich lassen die mich mal im Stich.«
Er sah so verlegen aus, dass ich nicht anders konnte, als Mitleid mit ihm zu haben. »Hört sich an, als würden Sie zu viel Zeit im Dschungel verbringen.«
»Vielleicht«, räumte er ein. »Also, wie sieht’s jetzt mit dem Drink aus?«
Ich schlug auch die zweite Einladung von Sean aus, allerdings weniger unhöflich, wie ich fand. Ich fühlte mich besser. Irgendetwas an dem Undercliff, oder vielleicht sogar an dem Mann, der auf dem Undercliff wohnte, hatte mich beruhigt. Ich war todmüde, und ich war mir sicher, dass ich zumindest heute
Nacht schlafen würde. Bestimmt hatte es mit den hässlichen Überraschungen fürs Erste ein Ende.
Die Straßen waren leer, und es dauert nicht lange, die Abzweigung zum Dorf zu erreichen. Als ich langsamer wurde und den Blinker setzte, erhaschte ich im Rückspiegel einen Blick auf ein Fahrzeug. Ein kleines, silbernes Auto. Ich bog ab und fuhr den Hügel hinunter. Und ein anderes Auto folgte mir. Ich sah es nicht, obwohl ich mehrmals deutlich langsamer wurde. Nachdem ich zu Hause in die Bourne Lane eingebogen war, hielt ich am Straßenrand an, schaltete die Scheinwerfer aus und saß wartend da. Ich wartete fünf, vielleicht zehn Minuten, doch der Wagen tauchte nicht auf. Es gab keine anderen Straßen, in die er hätte einbiegen können, doch er war auch nicht an mir vorbeigefahren. Schließlich gab ich es auf und fuhr nach Hause. Doch ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob Seans Instinkte nicht besser waren, als ihm klar war.
Und als ich aus dem Auto stieg, sah meine Haustür eindeutig anders aus. Eine tote Kreuzotter war über meinem Briefschlitz ans Holz genagelt worden, und jemand hatte mir mit weißer Farbe eine Botschaft hinterlassen, der ich rein intellektuell gesehen nicht widersprechen konnte.
»Hässliche Fotze«, stand da.
27
Anstatt also lange und heiß zu duschen und ins Bett zu fallen, musste ich meine Terpentinflasche hervorkramen und die Haustür säubern. Wer auch immer mir an diesem Abend einen Besuch abgestattet hatte, war noch nicht lange fort; die Farbe war noch feucht.
Ein Zimmermannsnagel hatte die Schlange ans Holz geheftet. Sie war tot, und ich hoffte wirklich, dass sie das schon gewesen war, als sieben Zentimeter Stahl durch ihren Leib getrieben worden waren. Schlange und Nagel landeten in der Mülltonne. Dies hier war ein Vorfall, von dem ich die hiesige Polizei nicht in Kenntnis setzen würde. Selbst wenn sie mich nicht bereits als aufmerksamkeitshungrige Zeitverschwenderin eingeordnet hatten, wollte ich wirklich einem jungen Streifenpolizisten erzählen, was irgendjemand an meine Tür geschrieben hatte?
Genau wie viele andere Frauen weine ich, wenn ich wütend bin. Und ich war sehr wütend, als ich an jenem Abend das blau gestrichene Eichenholz meiner Haustür schrubbte. Ich hatte mich hier sicher gefühlt. Sicher vor aufdringlichen Blicken und vor neugierigem Angestarrtwerden, vor beflissener Freundlichkeit und herablassenden Freundschaftsangeboten. Doch die Ereignisse
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