Schlangenjagd
vollkommen erledigt aussah, und ihre Unterlippe zitterte. Sie war in Schweiß gebadet.
»Wenn sie nicht angeschnallt worden wäre, hatte sie sich sämtliche Fingernägel abgekaut«, sagte Linda.
»Bist du bereit?«, wollte Juan von ihr wissen.
»Ich gehe nur noch ein paar Notizen durch. Ich habe schließlich schon lange kein Verhör mehr durchgeführt.«
»Wie Max immer sagt, es ist wie Fahrradfahren. Einmal gelernt und man vergisst es sein Leben lang nicht mehr.«
»Ich hoffe bei Gott, dass er bei seiner Bewerbung nicht auch noch seinen besonderen Humor erwähnt hat.« Linda schaltete den BlackBerry aus. »Dann mal los.«
Juan öffnete die Tür des Frachtraums. Eine Hitzewoge wallte ihm entgegen. Sie hatten den Thermostaten auf dreißig Grad eingestellt. Ebenso wie die Beleuchtung war die Temperatur ein Teil der Verhörtechnik, die Linda anwendete, um Susan Donleavy weichzukochen. Sie betraten leise den Raum, hielten sich jedoch außerhalb des Lichtkegels.
Juan musste Susan Anerkennung zollen, denn für fast eine Minute sagte sie kein Wort. »Wer ist da?«, fragte sie aber schließlich doch mit einem Anflug von Hysterie in der Stimme.
Cabrillo und Ross schwiegen.
»Wer ist da?«, fragte Susan etwas angespannter. »Sie dürfen mich nicht so behandeln. Ich habe Rechte.«
Es gab eine schmale Grenze zwischen Panik und Zorn – der Trick bestand darin, diese Grenze während eines Verhörs nicht zu überschreiten. Lass niemals zu, dass sich die Angst deines Verhörpartners in Wut verwandelt. Linda passte es perfekt ab. Sie konnte erkennen, wie sich die Wut in Susans Gesicht abzuzeichnen begann, wie ihre Halsmuskeln sich anspannten. Sekunden bevor Susan Donleavy schrie, trat sie ins Licht. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass sich eine andere Frau bei ihr im Frachtraum befand.
»Miss Donleavy, um eins von Anfang an klarzustellen, Sie haben keinerlei Rechte. Sie befinden sich an Bord eines in internationalen Gewässern unter iranischer Flagge fahrenden Schiffs. Hier ist niemand, der Sie in irgendeiner Form vertreten könnte. Sie haben zwei Alternativen – und zwar
nur
zwei. Sie können mir erzählen, was ich wissen will, oder ich übergebe Sie einem Verhörspezialisten.«
»Wer sind Sie? Sie wurden engagiert, um Geoffrey Merrick zu befreien, nicht wahr? Nun, Sie haben ihn, also übergeben Sie mich der Polizei oder was auch immer.«
»Wir versuchen es mal mit dem ›Was-auch-immer‹-Weg«, sagte Linda. »Dazu gehört, dass Sie mir verraten, wo sich Daniel Singer im Augenblick aufhält und welche Pläne er verfolgt.«
»Ich weiß nicht, wo er ist«, erwiderte Susan schnell.
Zu schnell, stellte Linda fest. Sie schüttelte den Kopf, als sei sie enttäuscht. »Ich hatte gehofft, Sie würden sich kooperativer verhalten. Mr. Smith, würden Sie bitte kommen?« Juan trat vor. »Das ist Mr. Smith. Bis vor Kurzem arbeitete er für die Regierung der Vereinigten Staaten und hatte die Aufgabe, Terroristen wichtige Informationen zu entlocken. Sicherlich sind Ihnen schon Gerüchte zu Ohren gekommen, dass die Staaten Gefangene in Länder verbringen, in denen, wie soll ich es ausdrücken, weniger strenge Gesetze gelten, was das Foltern betrifft. Er war derjenige, auf den sie zurückgriffen, wenn es darum ging, Informationen zu beschaffen, gleichgültig mit welchen Mitteln.«
Susan Donleavys Unterlippe zitterte wieder, während sie Juan anstarrte.
»Er hat stets alles erfahren, was er wissen wollte, und das von den abgebrühtesten Männern der Welt, Männern, die zehn Jahre lang in Afghanistan erst gegen die Russen und dann noch einmal jahrelang gegen unsere Streitkräfte gekämpft haben, von Männern, die geschworen haben, lieber zu sterben, als sich einem Ungläubigen zu ergeben.«
Juan strich mit den Fingerspitzen sanft über Susans Arm. Es war eine intime Geste, eher die Liebkosung eines Geliebten als eines Folterers, und sie ließ die Frau erstarren und zurückweichen. Doch die Gurte, die sie auf dem Tisch fixierten, verhinderten, dass sie sich mehr als nur ein paar Zentimeter bewegen konnte. Die Androhung von Schmerz war weitaus effektiver, als ihn wirklich zuzufügen. Susans Geist produzierte bereits Bilder, die schlimmer waren, als Linda oder Cabrillo sich vorstellen konnten. Sie sorgten dafür, dass sie sich selbst folterte.
Erneut war Lindas Timing perfekt. Susan bemühte sich zwar, ihre Phantasie zu bremsen, aus ihrem Geist zu verbannen, was immer sie sich vorgestellt hatte. In sich fand sie die Kraft
Weitere Kostenlose Bücher