Schlangenkopf
Situation. Inzwischen bin ich fast froh, dass Sie diese Fahrt nach Den Haag zwar versucht, aber dann doch abgebrochen haben. Kein deutscher Staatsanwalt kann es sich leisten, Informationen für den Internationalen Gerichtshof unter den Tisch zu kehren. Wir haben also noch alle Trümpfe in der Hand.«
»Ich bin mir da nicht so sicher«, wendet Barbara ein. »Wir wissen immer noch nicht, warum sich diese Schlapphüte eingemischt haben und wie lang deren Arm ist.«
»Und vor allem weiß ich noch immer nicht, wer diesen Landrover gefahren hat«, fügt Berndorf hinzu, und während er es sagt, hört er, wie draußen auf der Dorfstraße ein Wagen vorbeifährt, nicht zu schnell, nicht zu langsam, und während er also zu reden aufhört und dem Wagen nachlauscht, steigt eine Erinnerung in ihm auf. »Moment …«, sagt er und schaut Barbara an, »wie war das in der Nacht, als wir zu meinem Büro gefahren sind, da lief doch das Autoradio?«
»Der Sender mit der Vögelmusik, ja doch«, sagt Barbara. »Und dann rief dieser Typ an, wegen einer Frau in einem Landrover …« Sie steht auf und geht zu dem Radio, das auf der Kommode steht, einem Grundig aus den späten Fünfziger Jahren, und schaltet es ein. Der Grundig hat noch das alte magische grüne Auge und ein Senderverzeichnis, auf dem noch Radio Hilversum oder Radio Beromünster verzeichnet sind, auch funktioniert er, der Mitteldeutsche Rundfunk bringt einen Beitrag über die neue Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Bankensektors. Barbara stellt den Ton leiser. »Das war doch einer dieser alternativen Berliner Sender?«, fragt sie und dreht am Knopf für die Sendersuche, »auf UKW müssten wir den doch hier empfangen können.« Zu hören ist erst ein Rauschen, danach Kaufhausmusik, schließlich jemand, der eine Sprache spricht, die Polnisch sein könnte.
»Ich fürchte«, sagt Dingeldey, »ich kann dir gerade nicht ganz folgen.«
»Moment«, sagt Barbara und dreht weiter. Plötzlich ertönt eine Stimme, die Mauern und Herzen erbeben lässt, Edith Piaf singt, dass sie nichts zu bereuen habe, und Barbara dreht die Lautstärke zurück.
»Das muss es sein«, sagt sie triumphierend.
Aber Berndorf legt den Kopf ein wenig schief. »Schon recht«, sagt er, »aber es klingelt irgendwas … Ist das dein Gerät?«
Barbara blickt auf, dann greift sie in ihre Jackentasche und holt ihr Handy heraus. Tatsächlich ist ein Anruf aufgelaufen, also stellt sie das Radio ab und meldet sich und wirft plötzlich einen Blick zur Decke, denn im Ohr hat sie die zittrige Stimme der alten Trautmannsdorf.
»Sei bitte nicht böse, Barbara, wenn mein Anruf ungelegen kommt, aber falls Ihr zum Essen gehen wollt oder schon gegangen seid, wo doch diese reizende junge Dame … Weißt du, es ist ein ganz zauberhafter Strauß, und die junge Dame würde ihn dir so gerne persönlich überbringen. Deswegen habe ich ihr auch Eure Adresse in Blengow gegeben, das ist dir doch sicher recht?«
»Ja«, sagt Barbara, »das war sehr lieb von dir. Aber wie heißt denn diese junge Dame, die uns besuchen will, und wie sieht sie aus?«
»Eine ganz reizende junge Dame war das«, antwortet die zittrige Stimme, »und sie ist ein Fan von dir, so sagt man doch? Und die Blumen sind für ein Buch, das du über Polen geschrieben hast, sie ist nämlich Polin.«
»Eine Polin«, echot Barbara und blickt zu Berndorf, »und deswegen hat sie Blumen für mich. Hat sie auch einen Namen?«
»Doch, ich hab’s mir sogar aufgeschrieben, hier, nein, das ist mein Zahnarzttermin, aber hier: Olga Sikorski, oder ist das die neue Krankengymnastin? Nein, jetzt weiß ich es wieder, das ist die junge Dame, es ist auch ein richtig polnischer Name, findest du nicht?«
»Also Olga heißt sie«, wiederholt Barbara und blickt wieder zu Berndorf, der aber schon aufgestanden ist und gerade seinen Mantel vom Haken an der Küchentür nimmt. »Das ist sehr lieb von dir, dass wir das jetzt wissen, wir wollen heute auch gar nicht mehr außer Haus und freuen uns, wenn sie kommt.« Sie verabschiedet sich und beendet das Gespräch.
»Ich hab das richtig verstanden«, fragt Berndorf, »Olga hat unsere Adresse und kommt uns besuchen? Mit Blumen? Fein.«
»Was hast du vor?«, will Barbara wissen.
»Nichts«, antwortet Berndorf, den Mantel in der Hand, »nur die Beine vertreten …«
»Soll ich mitkommen?«, fragt Zlatan und tastet nach der Seitentasche seiner Jacke, die er über die Stuhllehne gehängt hat. Die Seitentasche ist noch da, und das Ding,
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